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patentrecht:funktion_der_patentbeschreibung_und_der_zeichnungen_bei_der_auslegung_der_patentansprueche

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Funktion der Patentbeschreibung und der Zeichnungen bei der Auslegung der Patentansprüche

Der Schutzbereich des Patents und der Patentanmeldung wird nach § 14 S. 1 PatG durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind nach § 14 S. 2 PatG jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.1)

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Patentschrift in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen und der Patentanspruch im Zweifel so zu verstehen, dass sich keine Widersprüche zu den Ausführungen in der Beschreibung und den bildlichen Darstellungen in den Zeichnungen ergeben.2)

Dieser Grundsatz ist zur Überzeugung des erkennenden Senats für die Beschreibung und Zeichnungen einer Patentanmeldung entsprechend anzuwenden.3)

Funktion der Beschreibung ist es, die geschützte Erfindung zu erläutern. Im Zweifel ist daher ein Verständnis der Beschreibung und des Anspruchs geboten, das beide Teile der Patentschrift nicht in Widerspruch zueinander bringt, sondern sie als aufeinander bezogene Teile der dem Fachmann mit dem Patent zur Verfügung gestellten technischen Lehre als eines sinnvollen Ganzen versteht. Nur wenn und soweit dies nicht möglich ist, ist der Schluss gerechtfertigt, dass Teile der Beschreibung zur Auslegung nicht herangezogen werden dürfen.4)

Eine Auslegung des Patentanspruchs, die zur Folge hätte, dass keines der in der Patentschrift geschilderten Ausführungsbeispiele vom Gegenstand des Patents erfasst würde, kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn andere Auslegungsmöglichkeiten, die zumindest zur Einbeziehung eines Teils der Ausführungsbeispiele führen, zwingend ausscheiden oder wenn sich aus dem Patentanspruch hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass tatsächlich etwas beansprucht wird, das so weitgehend von der Beschreibung abweicht.5)

Die Einbeziehung von Beschreibung und Zeichnungen des betreffenden Patents darf nicht zu einer sachlichen Einengung oder inhaltlichen Erweiterung des durch seinen Wortlaut festgelegten Gegenstands führen.6)

Auch der Grundsatz, dass bei Widersprüchen zwischen Anspruch und Beschreibung der Anspruch Vorrang genießt [→ Grundsatz des Vorrangs des Patentanspruchs], weil dieser und nicht die Beschreibung den geschützten Gegenstand definiert und damit auch begrenzt7), schließt nicht aus, dass sich aus der Beschreibung und den Zeichnungen ein Verständnis des Patentanspruchs ergibt, das von demjenigen abweicht, das der bloße Wortlaut des Anspruchs vermittelt.8)

Durch die Berücksichtigung der Beschreibung soll sichergestellt werden, dass der tatsächliche Sprachgebrauch des Patents hinreichend beachtet und dem Umstand Rechnung getragen wird, dass Patentschriften im Hinblick auf die in ihnen verwendeten Begriffe gleichsam ihr eigenes Lexikon darstellen können und dass die Beschreibung gleichsam als Wörterbuch dienen kann.9)

Wird in der Beschreibung eines Patents ein bekannter Stand der Technik als nachteilhaft bezeichnet und ein im Patentanspruch vorgesehenes Merkmal als Mittel hervorgehoben, um diesen Nachteil zu überwinden, ist diesem Merkmal im Zweifel kein Verständnis beizumessen, demzufolge es sich in demjenigen Stand der Technik wiederfindet, von dem es sich gerade unterscheiden soll.10)

Bei der Auslegung eines Merkmals, das im Patent eigenständig definiert wird, ist nicht allein auf generelle Zielsetzungen in der Beschreibung abzustellen. Vielmehr sind auch die konkreten Funktionen zu berücksichtigen, die diesem Merkmal bei den Ausführungsbeispielen zukommen.11)

Zwar kann sich aus dem Gesamtinhalt der Patentschrift im Einzelfall ergeben, dass einzelne oder sogar alle in der Beschreibung geschilderten Ausführungsbeispiele nicht alle im Patentanspruch vorgesehenen Merkmale verwirklichen. Sofern sich vermeintliche Widersprüche, die sich aus dem Wortlaut oder dem allgemeinen technischen Verständnis ergeben könnten, durch eine an einem sinnvollen Zusammenhang orientierte Auslegung vermeiden lassen, gebührt diesem Verständnis aber grundsätzlich der Vorrang.12)

siehe auch

1)
vgl. auch BGH, Urt. v. 17. April 2007 - X ZR 72/05 - Ziehmaschinenzugeinheit; m.V.a. BGH, Urt. v. 13.2.2007 - X ZR 74/05, Tz. 18 - Kettenradanordnung
2)
BPatG, Beschl. v. 12.09.2022 - 20 W (pat) 17/21; m.V.a. BGH, Urteil vom 10.05.2011 - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330 Rn. 24 - Okklusionsvorrichtung; Urteil vom 02.06.2015 - X ZR 103/13, GRUR 2015, 972 Rn. 22 – Kreuzgestänge; jeweils m.w.N.
3)
BPatG, Beschl. v. 12.09.2022 - 20 W (pat) 17/21
4) , 8)
BGH, Urteil vom 12. Mai 2015 - X ZR 43/13 - Rotorelemente
5)
BGH, Urteil vom 12. Mai 2015 - X ZR 43/13 - Rotorelemente; m.V.a. BGH, Urteil vom 14. Oktober 2014 - X ZR 35/11, GRUR 2015, 159, Rn. 26 - Zugriffsrechte
6)
BGH, Urt. v. 17. April 2007 - X ZR 72/05 - Ziehmaschinenzugeinheit; m.V.a. BGHZ 160, 204, 209 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung
7)
BGH, Urteil vom 10. Mai 2011 - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330, Rn. 23 - Okklusionsvorrichtung
9)
BGH, Urt. v. 23. Oktober 2007 - X ZR 104/06; m.V.a. BGHZ 150, 149, 155 f. - Schneidmesser I; Benkard/Scharen, Patentgesetz, 10. Aufl., § 14 Rdn. 22; Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 6. Aufl., § 14 Rdn. 67
10)
BGH, Urteil vom 2. März 2021 - X ZR 17/19 - Bundespatentgericht; Ergänzung zu BGH, Urteil vom 27. November 2018 - X ZR 16/17, GRUR 2019, 491 Rn. 19 - Scheinwerferbelüftungssystem
11)
BGH, Urteil vom 2. Februar 2021 - X ZR 170/18 - Anhängerkupplung II
12)
BGH, Urteil vom 2. Februar 2021 - X ZR 170/18 - Anhängerkupplung II; m.V.a. BGH, Urteil vom 2. Juni 2015 - X ZR 103/13, GRUR 2015, 972 Rn. 22 - Kreuzgestänge; Urteil vom 10. Mai 2011 - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330 = GRUR 2011, 701 Rn. 24 - Okklusionsvorrichtung; Urteil vom 4. Februar 2010 - Xa ZR 36/08, GRUR 2010, 602 Rn. 27 - Gelenkanordnung; Urteil vom 31. März 2009 - X ZR 95/05, BGHZ 180, 215 = GRUR 2009, 653 Rn. 16 - Straßenbaumaschine
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