Subsidiarität des Nichtigkeitsverfahrens gegenüber dem Einspruchsverfahren

§ 81 (2) PatG

Klage auf Erklärung der Nichtigkeit des Patents kann nicht erhoben werden, solange ein Einspruch noch erhoben werden kann oder ein Einspruchsverfahren anhängig ist.

§ 81 (1) S. 2 → Nichtigkeitsbeklagter
§ 81 (1) S. 3 → Nichtigkeitsklage gegen ein ergänzendes Schutzzertifikat

§ 81 (2) PatG → Statthaftigkeit der Nichtigkeitsklage
§ 81 (3) PatG → Klageberechtigung im Nichtigkeitsverfahren

Nach § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG kann eine Klage auf Nichtigerklärung des Patents nicht erhoben werden, solange ein Einspruch noch eingelegt werden kann oder ein Einspruchsverfahren anhängig ist.

Die sachliche Rechtfertigung der Nachrangigkeit des Nichtigkeitsverfahrens gegenüber dem Einspruchsverfahren besteht darin, parallele, möglicherweise einander widersprechende Entscheidungen über den Rechtsbestand eines Patents zu vermeiden.1)

Dritte, die nicht Einspruch eingelegt haben, werden dadurch nicht in sachlich ungerechtfertigter Weise an der Wahrnehmung ihrer Rechte gehindert. Denn ein Dritter, gegen den nach Ablauf der Einspruchsfrist Verletzungsklage erhoben worden ist, kann dem laufenden Einspruchsverfahren bis zu dessen Abschluss beitreten (§ 59 Abs. 2 Satz 1 PatG).2)

Das gilt auch für denjenigen, der aus dem Patent verwarnt worden ist und deshalb Klage auf Feststellung erhoben hat, dass er das Patent nicht verletze (§ 59 Abs. 2 Satz 2 PatG). Darüber hinaus ist auch im Einspruchsverfahren jedermann berechtigt, dem Patentamt Druckschriften anzugeben, die der Erteilung des Patents entgegenstehen könnten (§ 59 Abs. 4 i.V.m. § 43 Abs. 3 Satz 3 PatG).3)

Der Vorrang des Einspruchsverfahrens gilt sowohl für Einspruchsverfahren, die vor dem Deutschen Patent- und Markenamt anhängig sind, als auch für solche, die vor dem Europäischen Patentamt geführt werden.4)

Mit Blick auf den Zweck des § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG und die Regelung in Art. 100 EPÜ hat der Senat insbesondere ausgesprochen, dass die Nichtigkeitsklage gegen ein europäisches Patent gemäß § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG unzulässig ist, wenn sie nur auf Nichtigkeitsgründe gestützt wird, die zugleich Einspruchsgründe nach Art. 100 EPÜ sind.5)

Die Subsidiarität des Nichtigkeitsverfahrens gegenüber dem Einspruchsverfahren stellt keinen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG dar. Das Europäische Patentübereinkommen enthält durch die Möglichkeiten, die die Einlegung des Einspruchs (Art. 99 EPÜ), die gegen die Einspruchsentscheidung gegebene Beschwerde (Art. 106 EPÜ), die Vorlage von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten an die Große Beschwerdekammer (Art. 110, 111, 112 EPÜ) und der Beitritt Dritter zum Einspruchsverfahren (Art. 105 EPÜ) bieten, ein an den Maßstäben des Grundgesetzes orientiertes, ausreichendes Rechtsschutzsystem und genügt dem Standard, der gemäß Art. 24 Abs. 1 GG zu beachten ist. Darüber hinaus hat nach Art. 2 Abs. 2 EPÜ das europäische Patent in jedem Vertragsstaat dieselbe Wirkung und unterliegt den jeweiligen nationalen Vorschriften. Das europäische Patent ist damit auch für die Art und Weise, wie die zugelassenen Nichtigkeitsgründe geltend zu machen sind, den nationalen Patenten gleichgestellt und kann diesen gegenüber keine erweiterten Rechtsschutzmöglichkeiten erhalten.6)

Eine gegen diese Entscheidung des Senats erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen.7)

Die bei laufendem Einspruchsverfahren erhobene Nichtigkeitsklage ist auch dann unzulässig, wenn sie nur auf ein älteres nationales Recht im Sinne des Art. 139 Abs. 2 EPÜ gestützt wird.8)

Das deutsche Patentgesetz hat nach Inkrafttreten des Europäischen Patentübereinkommens mehrfach Änderungen erfahren. Der Gesetzgeber hat dabei § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG (früher § 81 Abs. 2) unangetastet gelassen und ihn auch im Rahmen der Gesetzesänderung, die das Nichtigkeitsverfahren teilweise grundlegend neu geregelt hat (Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts vom 31. Juli 2009, BGBl I 2009, 2521 = BlPMZ 2009, 307) weder aufgehoben noch inhaltlich geändert und damit zum Ausdruck gebracht, dass er die Regelung aus den Gründen, die zu ihrer Einführung geführt haben, nach wie vor für erforderlich hält.9)

Für die Beurteilung, ob das Klagehindernis nach § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG vorliegt, ist nicht auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Klage. Hierbei sind auch Änderungen zu berücksichtigen, die erst im Laufe des Berufungsverfahrens eingetreten sind.10)

siehe auch

Zulässigkeitsvoraussetzungen des Nichtigkeitsverfahrens
Nichtigkeitsverfahren

1) , 2) , 3) , 5) , 6) , 9)
BGH, Urteil vom 19. April 2011 - X ZR 124/10 - Mautberechnung
4)
BGH, Urteil vom 19. April 2011 - X ZR 124/10 - Mautberechnung; m.V.a. BGH, Urt. vom 12. Juli 2005 - X ZR 29/05, BGHZ 163, 369 - Strahlungssteuerung
7)
BGH, Urteil vom 19. April 2011 - X ZR 124/10 - Mautberechnung; m.V.a. BVerfG, Beschluss vom 5. April 2006 - 1 BvR 2310/05, GRUR 2006, 569
8)
BGH, Urteil vom 19. April 2011 - X ZR 124/10 - Mautberechnung; Fortführung von BGH, Urteil vom 12. Juli 2005 - X ZR 29/05, BGHZ 163, 369 - Strahlungssteuerung
10)
BGH, Urteil vom 6. Dezember 2022 - X ZR 47/22 - Aminopyridin; Bestätigung von BGH, Urteil vom 19. April 2011 - X ZR 124/10, GRUR 2011, 848 Rn. 17 - Mautberechnung