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ep:beschwerdeberechtigte_und_verfahrensbeteiligte

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Beschwerdeberechtigte und Verfahrensbeteiligte

Artikel 107 des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) regelt, wer zur Einlegung einer Beschwerde berechtigt ist und wer am Beschwerdeverfahren beteiligt ist.

Artikel 107 EPÜ

Jeder Verfahrensbeteiligte, der durch eine Entscheidung beschwert ist, kann Beschwerde einlegen. Die übrigen Verfahrensbeteiligten sind am Beschwerdeverfahren beteiligt.

Beschwerdeführer

Nach Auffassung der Kammer ist unter einem „Verfahrensbeteiligten“ in diesem Zusammenhang einfach jemand zu verstehen, der am Verfahren vor dem Europäischen Patentamt teilnimmt.1)

Dabei ist eine Person auch dann Verfahrensbeteiligte, wenn ihre Berechtigung zur Teilnahme am Verfahren in Frage gestellt wird und Gegenstand einer anhängigen Entscheidung ist. Selbst wenn sie möglicherweise aufhört, Verfahrensbeteiligte zu sein, wenn entschieden wird, dass sie zur Teilnahme am Verfahren nicht berechtigt ist, bedeutet dies nicht, dass sie nie eine Verfahrensbeteiligte war, sondern nur, dass sie nicht mehr zur Teilnahme am Verfahren berechtigt ist. Vor diesem Zeitpunkt war ihre Verfahrensstellung darauf beschränkt, ob sie zur Teilnahme am Verfahren berechtigt war. Wird entschieden, dass sie zur Teilnahme am Verfahren berechtigt ist, so bleibt sie Verfahrensbeteiligte, auch wenn diese Entscheidung später im Beschwerdeverfahren aufgehoben wird; eine solche Entscheidung hat zur Folge, dass die Person nicht mehr zur Teilnahme am Verfahren berechtigt ist, nicht aber, dass sie niemals eine Verfahrensbeteiligte war. Ihre Stellung kann sich nicht je nach Ausgang der Entscheidung rückwirkend von der einer Verfahrensbeteiligten zu der einer Person ändern, die niemals Verfahrensbeteiligte war, oder umgekehrt. Die Stellung dieser Person ist bis zur endgültigen Klärung dieser Frage nicht in der Schwebe.2)

Beteiligtenstellung und Beschwerdeführerrolle eines Beitretenden

In der Zwischenentscheidung T 1286/23 (ABl. EPA 2025, A38) hat die Technische Beschwerdekammer 3.2.04 der Großen Beschwerdekammer gemäß Art. 112 (1) a) EPÜ die Frage vorgelegt, ob ein Dritter, der dem Verfahren im Beschwerdestadium beitritt, selbst die Stellung eines Beschwerdeführers erlangen und das Verfahren nach Rücknahme aller anderen Beschwerden eigenständig fortführen kann. Die Kammer hinterfragt insbesondere, ob der bisherige Ausschluss Beitretender von einer Beschwerdeführerrolle (vgl. G 3/04) noch mit dem Wortlaut und der Systematik von Artikel 105 und 107 EPÜ vereinbar ist.

Ein wirksamer Beitritt im Beschwerdestadium schließt die Möglichkeit nicht aus, dass der Beitretende als Beschwerdeführer auftreten kann, sofern er durch die angefochtene Entscheidung beschwert ist.3)

Die Stellung eines Beitretenden, der im Einspruchsverfahren keine Gelegenheit hatte, in der Sache vorzutragen, unterscheidet sich wesentlich von der Stellung eines regulären Einsprechenden.4)

Die Beteiligtenstellung eines Beitretenden kann nicht davon abhängen, ob der Beitrittsversuch früher einmal erfolglos war – entscheidend ist allein, ob er materiell am Verfahren beteiligt war.5)

Der Umstand, dass ein Dritter dem Verfahren erst im Beschwerdestadium beitritt, schließt eine rechtliche Beschwer durch die angefochtene Entscheidung nicht per se aus.6)

Spannungsverhältnis zwischen Artikel 105 und 107 EPÜ

Artikel 107 EPÜ ist auf Beitretende nicht ohne weiteres wörtlich anwendbar. Insbesondere darf das Erfordernis, bereits am vorausgehenden Verfahren beteiligt gewesen zu sein, nicht auf Beitretende übertragen werden.7)

Ein Beitritt ersetzt im Ergebnis die Verfahrensbeteiligung im Einspruchsverfahren. Artikel 105 EPÜ durchbricht damit die Beschränkungen von Artikel 107 EPÜ.8)

Die Stellung eines Beitretenden als Einsprechender kraft Artikel 105 EPÜ muss konsequent auch im Beschwerdeverfahren Berücksichtigung finden – inklusive der Möglichkeit zur eigenständigen Beschwerdeführung.9)

Funktion und Rechtfertigung des Beitrittsrechts

Das Beitrittsrecht nach Artikel 105 EPÜ stellt eine gesetzlich anerkannte Ausnahme vom Grundsatz der Fristgebundenheit des Einspruchsverfahrens dar, begründet durch das schutzwürdige Interesse des Verletzungsbeklagten.10)

Der Zweck des Beitritts liegt in der Schaffung einer verfahrensrechtlichen Möglichkeit, ein erteiltes Patent zentral und umfassend angreifen zu können, wenn ein rechtlicher Konflikt mit dem Patentinhaber bereits konkret ist.11)

Die Beteiligtenstellung des Beitretenden darf nicht in ihrem Gewicht hinter der des ursprünglichen Einsprechenden zurückstehen, wenn ein effektiver Rechtsschutz gewährleistet sein soll.12)

Verfügungsgrundsatz und Verfahrensautonomie

Die Rücknahme einer Beschwerde durch die ursprüngliche Beschwerdeführerin (Einsprechende) darf nicht dazu führen, dass ein Beitretender mit zulässiger und begründeter Beschwerde an der Verfahrensfortführung gehindert wird.13)

Auch mehrere Beschwerdeführer teilen sich das Beschwerdeverfahren gleichberechtigt; kein einzelner kann dessen Fortgang einseitig beeinflussen – dies gilt auch für den Beitretenden.14)

Der Verfügungsgrundsatz ist kein Hindernis für die Anerkennung der Beschwerdeführerstellung eines Beitretenden.15)

Systemüberlegungen und Teleologie

Der Wortlaut des Artikels 107 EPÜ ist nicht hinreichend, um die spezifische Situation von Beitretenden zu regeln – seine Anwendung auf Beitretende bedarf daher einer systematischen und teleologischen Korrektur.16)

Die Einspruchs- und Beschwerdeverfahren vor dem EPA sind in weiten Teilen Verwaltungsverfahren. Es erscheint unangemessen, aus verfahrensökonomischen Gründen dem materiell beschwerten Beitretenden die Fortsetzung zu verwehren.17)

Ein Beitretender, der das Patent durch die Einspruchsabteilung nur teilweise widerrufen sieht, ist durch das Fortbestehen des Patents selbst beschwert – unabhängig davon, ob er im vorangegangenen Verfahren beteiligt war.18)

siehe auch

EPÜ, Teil 6 → Beschwerdeverfahren
Der fünfte Teil des EPÜ regelt das Einspruchsverfahren gegen ein erteiltes europäisches Patent, einschließlich der Einspruchsgründe, der Prüfung des Einspruchs und der möglichen Entscheidungen, sowie das Verfahren zur Beschränkung oder zum Widerruf des Patents auf Antrag des Patentinhabers.

1) , 2)
Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.09 vom 27. Februar 2007 - T 1178/04
3)
T 1286/23 – Zwischenentscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.2.04 vom 11. November 2024; Gegensatz zu G 3/04, dort war dies ausgeschlossen
4) , 5) , 6) , 7) , 8) , 9) , 10) , 11) , 12) , 13) , 14) , 15) , 16) , 17) , 18)
T 1286/23 – Zwischenentscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.2.04 vom 11. November 2024
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