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urheberrecht:richterliche_anordnung_ueber_die_zulaessigkeit_der_verwendung_der_verkehrsdaten

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Richterliche Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung der Verkehrsdaten

§ 101 (9) S. 1 UrhG

Kann die Auskunft nur unter Verwendung von Verkehrsdaten (§ 3 Nr. 30 des Telekommunikationsgesetzes) erteilt werden, ist für ihre Erteilung eine vorherige richterliche Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung der Verkehrsdaten erforderlich, die von dem Verletzten zu beantragen ist.

Art. 10 Abs. 1 GG → Brief, Post- und Fernmeldegeheimnis

Nach § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG ist für die Erteilung einer Auskunft über den Vertriebsweg rechtsverletzender Vervielfältigungsstücke nach § 101 Abs. 1 und 3 UrhG, die nur unter Verwendung von Verkehrsdaten (§ 3 Nr. 30 TKG) erteilt werden kann, eine vorherige richterliche Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung der Verkehrsdaten erforderlich, die vom Verletzten zu beantragen ist. Nach § 3 Nr. 30 TKG sind Verkehrsdaten solche Daten, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Demgegenüber sind Bestandsdaten gemäß § 3 Nr. 3 TKG solche Daten eines Teilnehmers, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Telekommunikationsdienste erhoben werden. Mit der Bestimmung des § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG hat der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung getragen, dass Verkehrsdaten in den Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses gemäß Art. 10 Abs. 1 GG fallen.1)

Die Bestimmung des Art. 10 Abs. 1 GG schützt nicht nur den Inhalt der Kommunikation, sondern auch die Vertraulichkeit der näheren Umstände des Kommunikationsvorgangs. Dazu gehört insbesondere, ob, wann und wie oft zwischen welchen Personen oder Telekommunikationseinrichtungen Telekommunikationsverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist.2)

Bei dem Namen und der Anschrift des Nutzers, dem zu bestimmten Zeitpunkten eine bestimmte IP-Adresse zugewiesen war, handelt es sich um Daten, die für die Begründung eines Vertragsverhältnisses über Telekommunikationsdienste erhoben werden, und damit um Bestandsdaten. Die begehrte Auskunft über diese Daten kann nur unter Verwendung von Daten erteilt werden, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Eine dynamische IP-Adresse ist keinem bestimmten Nutzer dauerhaft zugeordnet, sondern wird unterschiedlichen Nutzern jeweils nur für eine Sitzung zugeteilt. Eine Verknüpfung der dynamischen IP-Adresse mit dem Nutzer, dem sie zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war, ist daher nur unter Verwendung der jeweils hierzu gespeicherten Verkehrsdaten wie des Datums und der Uhrzeit der Verbindung möglich.3)

§ 101 Abs. 9 Satz 1 in Verbindung mit § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG enthält die fachrechtliche Eingriffsermächtigung für die Verwendung von Verkehrsdaten zur Identifizierung von dynamischen IP-Adressen.4)

Die Auskunft des Endkundenanbieters dazu, welchem Anschlussinhaber eine bestimmte Benutzerkennung zuzuordnen ist, beschränkt sich hingegen auf die dem Anordnungserfordernis des § 101 Abs. 9 UrhG nicht unterfallende Bekanntgabe von Bestandsdaten.5)

Zwar muss der Auskunft des Endkundenanbieters die Verwendung von Verkehrsdaten durch den Netzbetreiber vorausgehen, weil andernfalls der Anschlussinhaber nicht individualisiert werden kann. Der Endkundenanbieter selbst nimmt jedoch für seine Auskunft keinen Zugriff auf Verkehrsdaten. Die notwendig vorausgehende Verwendung von Verkehrsdaten durch den Netzbetreiber wird vielmehr durch die im Streitfall vorliegende, unter Beteiligung des Netzbetreibers ergehende Anordnung nach § 101 Abs. 9 UrhG legalisiert.6)

Die Gestattung gemäß § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG setzt das Bestehen eines Auskunftsanspruchs nach § 101 Abs. 2 UrhG voraus. Dieser wiederum erfordert sowohl, dass der Auskunftsverpflichtete in gewerblichem Ausmaß für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbracht hat (§ 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG), als auch, dass eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß vorliegt.

Die Begründetheit des Antrags nach § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG auf Gestattung der Verwendung von Verkehrsdaten zur Erteilung der Auskunft über den Namen und die Anschrift der Nutzer, denen zu bestimmten Zeitpunkten bestimmte (dynamische) IP-Adressen zugewiesen waren, setzt jedenfalls in den Fällen, in denen ein Auskunftsanspruch nach § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG wegen einer offensichtlichen Rechtsverletzung gegen eine Person besteht, die in gewerblichem Ausmaß für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbracht hat, grundsätzlich kein besonderes und insbesondere kein gewerbliches Ausmaß der Rechtsverletzung voraus.7)

Für den – bei filesharing-Fällen regelmäßig gegebenen – Fall, dass diese Auskunft nur unter Verwendung von Verkehrsdaten gemäß § 3 Nr. 30 TKG erteilt werden kann, schafft § 101 Abs. 9 UrhG einen speziellen Erlaubnistatbestand, der neben die Erlaubnistatbestände des TKG tritt. Die dort vorgesehene Erlaubnis bezieht sich auf die Verwendung von Verkehrsdaten zur Erteilung der Auskunft nach § 101 Abs. 2 UrhG. Soweit für diese Verwendung erforderlich, dürfen die Verkehrsdaten aber gespeichert werden, § 96 Abs. 2 S. 1 TKG. Gerade weil die Internetprovider durch das TKG zur unverzüglichen Löschung der Verkehrsdaten nach Beendigung der Verbindung verpflichtet sind (§ 96 Abs. 2 S. 2 TKG) und weil die Löschung nach eigenem Vortrag der Beteiligten tatsächlich innerhalb eines Zeitraums von drei Tagen erfolgt, der zur Durchführung des in § 101 Abs. 9 vorgesehenen Verfahrens nicht ausreicht, erfordert die Sicherung dieses Verfahrens den Erlass einstweiliger Anordnungen.8)

Nach § 101 Abs. 9 S. 1 UrhG erfordert die Verwendung der Verkehrsdaten zur Auskunfterteilung die vorherige richterliche Anordnung über ihre Zulässigkeit; in den weiteren Sätzen der Vorschrift wird das dabei einzuhaltende Verfahren geregelt. Bei der Erwirkung der richterlichen Anordnung handelt es sich nicht um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes; insbesondere ist dem in Anspruch genommenen Provider rechtliches Gehör zu gewähren.9)

Ein solches Verfahren zum Erwirken der richterlichen Anordnung über die Zulässigkeit vor der Auskunfterteilung braucht Zeit, zumal das Gesetz gegen die Entscheidung des Landgerichts das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde vorsieht (§ 101 Abs. 9 S. 6 UrhG). In dieser Zeit müssen die Verkehrsdaten, mittels derer die Auskunft erteilt werden soll, gespeichert werden, soll das vorgesehene Verfahren nicht von vornherein scheitern. Damit ist die Speicherung der Verkehrsdaten für die Dauer des Verfahrens zur Erreichung des von § 101 Abs. 9 UrhG verfolgten Zwecks „erforderlich“ im Sinne des § 96 Abs. 2 S. 1 TKG.10)

§ 101 Abs. 9 UrhG erlaubt nicht den Zugriff auf solche Verkehrsdaten, die aufgrund der Verpflichtung nach § 113a TKG gespeichert worden sind.11)

§ 101 (9) S. 2 UrhG

Für den Erlass dieser Anordnung ist das Landgericht, in dessen Bezirk der zur Auskunft Verpflichtete seinen Wohnsitz, seinen Sitz oder eine Niederlassung hat, ohne Rücksicht auf den Streitwert ausschließlich zuständig.

§ 101 Abs. 9 Satz 2 UrhG ist so zu verstehen, dass die Vorschrift – nach den Gegebenheiten bei dem im Einzelfall zur Auskunft Verpflichteten, einer natürlichen oder einen juristischen Person, mit inländischem Sitz oder ohne einen solchen – in örtlicher Hinsicht überhaupt einen Gerichtsstand bestimmt, entweder also das Wohnsitzgericht oder das Sitzgericht oder das Gericht einer Niederlassung, nicht aber diese Gerichte im Einzelfall für gleichermaßen zuständig erklärt und einem Antragsteller zwischen ihnen die Wahl einräumt. Hinsichtlich der beiden an erster und zweiter Stelle benannten Anknüpfungspunkte für die örtliche Zuständigkeit, also des Wohnsitzes und des Sitzes, ist ohnehin klar, dass eine Wahl nicht in Betracht kommt: Entweder hat der zur Auskunft Verpflichtete einen „Wohnsitz“ oder einen „Sitz“. Dann ist es aber auch nicht gerechtfertigt, hinsichtlich des verbleibenden dritten Anknüpfungspunktes ein Wahlrecht anzunehmen. In der Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums heißt es zudem am angegebenen Ort: „Da es in diesem Fall keinen Gerichtsstand nach den Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gibt, ist in entsprechender Anwendung des § 143 Abs. 1 PatG eine ausschließliche Zuständigkeit der landgerichtlichen Zivilkammer vorzusehen. Die örtliche Zuständigkeit soll sich nach Wohnsitz, Sitz oder Niederlassung des zur Auskunft Verpflichteten richten, da andernfalls nur ein Gerichtsstand nach dem Wohnsitz etc. des Verletzten in Frage käme und dann für Auswärtige umfangreiche Regelungen getroffen werden müssten“. Von einer Wahl unter verschiedenen Gerichtsständen ist nicht die Rede. Die Regelung in § 101 Nr. 9 UrhG unterscheidet sich also von den Regeln der Zivilprozessordnung über den Gerichtsstand in ihren §§ 12 ff, wo für Zivilprozesse mehrere Gerichtsstände vorgesehen und in § 35 dem Kläger ausdrücklich unter mehreren Gerichten die Wahl gegeben wird.12)

Die Annahme, dass für eine bestimmte Anordnung nach § 101 Abs. 9 UrhG ein einziges Gericht örtlich zuständig sein soll, entspricht zudem den Regelungen für andere Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (siehe die Aufzählungen bei Müther, a.a.O., vor §§ 3-7 Rn. 5 bis 9; Sternal in Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Auflage, Vorb. §§ 3-5 und 7 Rn. 7; Bumiller, a.a.O., Vor §§ 3-5 Rn. 1). Das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geht von einer mehrfachen örtlichen Zuständigkeit nur dann aus, wenn der – einzig - für die Zuständigkeit maßgebliche Umstand, z. B. der Wohnsitz mehrfach vorliegt (vgl. Müther a.a.O. § 4 Rn. 2). Die Konkurrenz entscheidet sich dann grundsätzlich auch nicht durch die Wahl eines Verfahrensbeteiligten, etwa eines Antragstellers. Der Vorzug gebührt nach § 4 FGG vielmehr dem zuständigen Gericht, welches zuerst in der Sache tätig geworden ist. Auf die Wahl eines Antragstellers kommt es nur dann an, wenn das Gesetz sie vorsieht - etwa über einen Verweis auf § 35 ZPO –, wie zum Beispiel in Gewaltschutzsachen (vgl. Müther, a.a.O. Rn. 1).13)

Die Verkehrsdaten dürfen nach § 96 Abs. 2 S. 1 TKG allein zu dem Zweck gespeichert werden, die Durchführung des in § 101 Abs. 9 UrhG vorgesehenen Verfahrens zu ermöglichen; jede andere Verwendung bleibt unzulässig. Damit wird der Eingriff in den auch europarechtlich gewährleisteten Schutz personenbezogener Daten so gering wie möglich gehalten. Denkbare Missbrauchsmöglichkeiten, die sich aus der verlängerten Speicherung bis zum Abschluss des Verfahrens nach § 101 Abs. 9 UrhG ergeben, sind zur effektiven Durchsetzung urheberrechtlicher Positionen hinzunehmen.14)

§ 101 (9) S. 3 UrhG

Die Entscheidung trifft die Zivilkammer.

§ 101 (9) S. 4 UrhG

Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit Ausnahme des § 28 Abs. 2 und 3 entsprechend.

§ 101 (9) S. 5 UrhG

Die Kosten der richterlichen Anordnung trägt der Verletzte.

Sofortige Beschwerde gegen richterliche die Anordnung

§ 101 (9) S. 6-8 UrhG

Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist die sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht statthaft. Sie kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist unanfechtbar. Die Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten bleiben im Übrigen unberührt.

Gegen eine Entscheidung nach § 101 Abs. 9 Satz 3 UrhG ist nach Satz 6 der Vorschrift die sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht gegeben, wobei für das Verfahren nach Satz 4 die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend gelten.15)

Beispielsweise kann eine einstweilige Anordnung, mit der ausgesprochen wird, dass bis zum Abschluss des Verfahrens nach § 101 Abs. 9 UrhG zum Zwecke der Auskunftserteilung die Daten zu sichern, aus denen sich ergibt, welchen Kunden unter welchen Anschrift bestimmte IP-Adressen zu bestimmten Zeitpunkten zugeordnet waren, kann mit der Beschwerde angefochten werden. Eine solche Anordnung findet ihre gesetzliche Grundlage in § 101 Abs. 2 und Abs. 9 UrhG i.V. mit § 96 Abs. 2 Satz 1 TKG; diese dort getroffene Regelung stößt weder auf europarechtliche noch auf verfassungsrechtliche Bedenken.16)

Einschränkung des Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses

siehe auch

§ 101 UrhG → Anspruch auf Auskunft

1)
BGH, Urteil vom 13. Juli 2017 - I ZR 193/16 - Benutzerkennung; m.V.a. Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums, BT-Drucks. 16/5048, S. 39
2)
BGH, Urteil vom 13. Juli 2017 - I ZR 193/16 - Benutzerkennung; m.V.a. BVerfGE 130, 151 Rn. 112 mwN
3)
BGH, Urteil vom 13. Juli 2017 - I ZR 193/16 - Benutzerkennung; m.V.a. Beschluss vom 19. April 2012 - I ZB 80/11, BGHZ 195, 257 Rn. 39 - Alles kann besser werden; Beschluss vom 5. Dezember 2012 - I ZB 48/12, GRUR 2013, 536 Rn. 37 = WRP 2013, 628 - Die Heiligtümer des Todes
4)
BGH, Urteil vom 13. Juli 2017 - I ZR 193/16 - Benutzerkennung; m.V.a. BGHZ 195, 257 Rn. 41 ff., 48 - Alles kann besser werden
5)
BGH, Urteil vom 13. Juli 2017 - I ZR 193/16 - Benutzerkennung; m.V.a. OLG Köln, GRUR-RR 2013, 137; AG Potsdam, ZD 2016, 296; aA LG Frankenthal, K&R 2015, 671; AG Augsburg, Urteil vom 22. Juni 2015 - 16 C 3030/14, juris; AG Koblenz, ZD 2015, 235; Zimmermann, K&R 2015, 73, 74
6)
BGH, Urteil vom 13. Juli 2017 - I ZR 193/16 - Benutzerkennung
7)
BGH, Beschl. v. 16. Mai 2013 - I ZB 43/12; m.V.a. BGH, GRUR 2012, 1026 Rn. 40 bis 52 - Alles kann besser werden
8) , 9) , 10) , 11) , 14) , 16)
OLG Karlsruhe, Beschluß vom 1.9.2009, 6 W 47/09
12) , 13) , 15)
OLG Düsseldorf, Beschluss v. 08.01.2009 - I-20 W 130/08
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