Zahlen- oder Massangaben in Patentansprüchen

Bereichsangaben im Patentanspruch
Gleichwirkung einer Ausführungsform mit einem vom Anspruch abweichenden Zahlenwert
Gleichwertigkeit einer Ausführungsform mit einem vom Anspruch abweichenden Zahlenwert

Für die Bestimmung des Schutzbereichs von Ansprüchen, die Zahlen- oder Maßangaben enthalten, hat der BGH hervorgehoben, dass solche Angaben an der Verbindlichkeit des Patentanspruchs als maßgeblicher Grundlage für die Bestimmung des Schutzbereichs teilnehmen. Die Aufnahme von Zahlen- oder Maßangaben in den Anspruch verdeutlicht, dass sie den Schutzgegenstand des Patents mitbestimmen und damit auch begrenzen sollen.1)

Es verbietet sich daher, solche Angaben als minder verbindliche, lediglich beispielhafte Festlegungen der geschützten technischen Lehre anzusehen, wie dies in der Rechtsprechung zur Rechtslage im Inland vor Inkrafttreten des Art. 69 EPÜ und der entsprechenden Neurege-lung des nationalen Rechts für möglich erachtet worden ist.2)

Eine eindeutige Zahlenangabe bestimmt und begrenzt vielmehr den geschützten Gegenstand grundsätzlich insoweit abschließend; ihre Über- oder Unterschreitung ist daher in aller Regel nicht mehr zum Ge-genstand des Patentanspruchs zu rechnen.3)

Ebenso gilt für die Bestimmung eines über den technischen Sinngehalt des Anspruchs hinausreichenden Schutzbereichs, dass im Anspruch enthaltene Zahlen- oder Maßangaben mit den angegebenen Werten den ge-schützten Gegenstand begrenzen. Im Rahmen der Schutzbereichsbestimmung darf deshalb vom Sinngehalt der Zahlen- und Maßangaben nicht abstrahiert werden. Bei der Prüfung der Frage, ob der Fachmann eine Ausführungsform mit einem vom Anspruch abweichenden Zahlenwert aufgrund von Überlegungen, die sich am Sinngehalt der im Anspruch umschriebenen Erfindung orientieren, als gleichwirkende Lösung auffinden kann, muss deshalb die sich aus der Zahlenangabe ergebende Eingrenzung des objektiven, erfindungsgemäß zu erreichenden Erfolgs berücksichtigt werden.4)

Als im Sinne des Patentanspruchs gleichwirkend kann nur eine Ausführungsform angesehen werden, die als eine solche auffindbar ist, die nicht nur überhaupt die Wirkung eines - im Anspruch zahlenmäßig eingegrenzten - Merkmals der Erfindung erzielt, sondern auch gerade diejenige, die anspruchsgemäß der zahlenmäßigen Eingrenzung dieses Merkmals zukommen soll. Fehlt es daran, ist auch eine objektiv und für den Fachmann erkennbar technisch ansonsten gleichwirkende Ausführungsform vom Schutzbereich des Patents grundsätzlich nicht umfasst.5)

Vom Wortlaut des Anspruchs abweichende Ausführungsformen

Andererseits schließt dies nicht aus, daß der Fachmann eine gewisse, beispielsweise übliche Toleranzen umfassende, Unschärfe als mit dem technischen Sinngehalt einer Zahlenangabe vereinbar ansieht. So hat das House of Lords in der Catnic-Entscheidung (R. P. C. 1982, 163; deutsch GRUR Int. 1982, 136), die allerdings die Rechtslage im Vereinigten Königreich vor der europäischen Harmonisierung betraf, bei einem auf einen rechten Winkel gerichteten Anspruchsmerkmal Abweichungen von 6ø bzw. 8ø vom rechten Winkel als mit der Annahme einer Benutzung der geschützten Lehre vereinbar angesehen. In einem solchen Fall kann es grundsätzlich nicht darauf ankommen, ob im Anspruch von einem rechten Winkel oder von 90ø die Rede ist. Maßgeblich ist vielmehr der unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen zu ermittelnde Sinngehalt des Patentanspruchs. In einem anderem Zusammenhang kann der gleiche Winkel sich daher dem Fachmann auch als exakt einzuhaltende Größe darstellen. Dies gilt grundsätzlich auch für Zahlenbereiche mit Grenzwerten (vgl. Sen., BGHZ 118, 210, 218 f. - Chrom-Nickel-Legierung; vgl. auch White, The C. I. P. A. Guide to the Patents Act, 5. Aufl., Part III, Section 125 Rdn. 22 mit Hinweis auf die soweit ersichtlich - insoweit - unveröffentlichten Entscheidungen Lubrizol v. Esso und Goldschmidt v. EOC Belgium). Ein Verständnis, daß ein Wert genau einzuhalten ist, wird vor allem dann der Vorstellung des Fachmanns entsprechen, wenn er erkennt, daß es sich um einen „kritischen“ Wert handelt. Wie eine bestimmte Zahlen- oder Maßangabe im Patentanspruch demnach zu verstehen ist, ist eine Frage des der tatrichterlichen Beurteilung unterliegenden fachmännischen Verständnisses im Einzelfall.6)

siehe auch

Auslegung der Patentansprüche
Schutzbereich

1)
BGH, Urt. v. 31. Mai 2007 - X ZR 172/04 - Zerfallszeitmessgerät; m.V.a. BGHZ 118, 210, 218 f. - Chrom-Nickel-Legierung
2)
BGH, Urt. v. 31. Mai 2007 - X ZR 172/04 - Zerfallszeitmessgerät; m.V.a. BGHZ 150, 149, 155 - Schneidmesser I
3)
BGH, Urt. v. 31. Mai 2007 - X ZR 172/04 - Zerfallszeitmessgerät; m.V.a. BGHZ 150, 149, 156 - Schneidmesser I
4)
BGH, Urt. v. 31. Mai 2007 - X ZR 172/04 - Zerfallszeitmessgerät; m.V.a. BGHZ 150, 149, 157 - Schneidmesser I
5)
BGH, Urt. v. 31. Mai 2007 - X ZR 172/04 - Zerfallszeitmessgerät
6)
BGH, Urteil vom 12. 3. 2002 - X ZR 168/00 - Schneidmesser I