Strukturreform

Die Beschwerdekammern und die Große Beschwerdekammer waren bis zur Strukturreform des Jahres 2016 in die Verwaltung des Europäischen Patentamts eingegliedert. Im Jahre 2016 beschloss der Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation eine Neufassung der Ausführungsordnung zum Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente und damit eine grundlegende Strukturreform des Rechtsschutzsystems innerhalb der Europäischen Patentorganisation 1). Diese trat am 1. Juli 2016 in Kraft.

Struktur nach der Strukturreform vor 2016

Der Vorsitzende des Präsidiums der Beschwerdekammern war zugleich Leiter der die Beschwerdekammern bildenden Generaldirektion 3 des Europäischen Patentamts und einer seiner Vizepräsidenten (vgl. Regel 9 und Regel 12 Abs. 1 AusfO 2007). Er wurde gemäß Art. 11 Abs. 2 EPÜ nach Anhörung des Präsidenten des Europäischen Patentamts durch den Verwaltungsrat ernannt. Von der Vertretung im Außenverhältnis war er ausgeschlossen, um den Anschein einer Vermischung von Verwaltungs- und Rechtsprechungsfunktionen zu vermeiden2). Er unterstützte den Präsidenten und unterlag dessen Weisungen (Art. 10 Abs. 2 und 3 EPÜ). Einzelheiten regelte eine vom Präsidium der Beschwerdekammern erlassene Verfahrensordnung für die Beschwerdekammern (Regel 12 Abs. 3 AusfO 2007).3)

Der für die Generaldirektion 3 zuständige Vizepräsident wurde zudem nach Art. 11 Abs. 3 EPÜ regelmäßig zum Vorsitzenden der Großen Beschwerdekammer bestellt. Das war rechtlich zwar nicht gefordert, entsprach aber der ständigen Praxis4).5)

Die Mitglieder der Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer wurden auf Vorschlag des Präsidenten vom Verwaltungsrat für die Dauer von fünf Jahren ernannt (Art. 11 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EPÜ). Eine Wiederernennung war nach Anhörung des Präsidenten des Europäischen Patentamts zulässig (Art. 11 Abs. 3 Satz 2 EPÜ). Zu Mitgliedern der Großen Beschwerdekammer konnten auch rechtskundige Mitglieder nationaler Gerichte oder gerichtsähnlicher Behörden der Vertragsstaaten ernannt werden, die ihre ursprüngliche Tätigkeit weiterhin ausüben durften (Art. 11 Abs. 5 Satz 1 EPÜ). Ihre Amtszeit betrug drei Jahre. Eine Wiederwahl war möglich (Art. 11 Abs. 5 Satz 2 EPÜ).6)

Die Disziplinargewalt über die Mitglieder der Beschwerdekammern stand bereits vor 2016 nur dem Verwaltungsrat zu (Art. 11 Abs. 4 EPÜ). Der Präsident des Europäischen Patentamts konnte allerdings Disziplinarmaßnahmen gegen Mitglieder der Beschwerdekammern vorschlagen (Art. 10 Abs. 2 Buchstabe h EPÜ).7)

Struktur nach der Strukturreform von 2016

Die Beschwerdekammern und die Große Beschwerdekammer wurden danach als gesonderte Beschwerdekammereinheit organisiert (Regel 12a Abs. 1 Satz 1 AusfO 2016) und die Einordnung in die Generaldirektion 3 des Europäischen Patentamts aufgehoben (vgl. Art. 9 AusfO 2016). Die separate Organisationseinheit der Beschwerdekammereinheit wird nun von dem Präsidenten der Beschwerdekammern geleitet, der mit dem Vorsitzenden der Großen Beschwerdekammer personenidentisch (Regel 12a Abs. 1 Satz 2 AusfO 2016), vom Präsidenten des Europäischen Patentamts unabhängig und nur dem Verwaltungsrat rechenschaftspflichtig ist (Regel 12a Abs. 2 Satz 2 AusfO 2016).8)

Der Präsident der Beschwerdekammern wird vom Verwaltungsrat auf gemeinsamen Vorschlag des Präsidenten des Europäischen Patentamts und des neu geschaffenen Beschwerdekammerausschusses ernannt (Art. 11 Abs. 3 EPÜ i.V.m. Regel 12a Abs. 1 Satz 3 AusfO 2016). In dieser Funktion genießt er Unabhängigkeit im Rahmen der Vorgaben des Europäischen Patentübereinkommens (Art. 23 Abs. 3 EPÜ).9)

Am 14. Februar 2017 hat der Präsident des Europäischen Patentamts seine Befugnisse aus Art. 11 Abs. 3 und 5 EPÜ – mit Ausnahme des Vorschlags- und Anhörungsrechts für die Ernennung und Wiederernennung des Vorsitzenden der Großen Beschwerdekammer – auf den Präsidenten der Beschwerdekammern übertragen (vgl. ABl EPA 2018, A63 <Beschluss des Präsidenten vom 14. Februar 2017>, Art. 3 Buchstabe c). Das gilt auch für seine Aufgaben und Befugnisse im Bereich der Disziplinargewalt aus Art. 10 Abs. 2 Buchstabe h EPÜ (Regel 12a Abs. 2 Satz 1 AusfO 2016; vgl. ABl EPA 2018, A63 <Beschluss des Präsidenten vom 14. Februar 2017>, Art. 1).10)

siehe auch

1)
vgl. ABl EPA 2018, Zusatzpublikation 1, S. 1 ff.
2)
vgl. Pignatelli/Irmscher, in: Benkard, EPÜ, 2. Aufl. 2012, Art. 10 Rn. 46
3) , 5) , 6) , 7) , 8) , 9) , 10)
BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 08. November 2022 - 2 BvR 2480/10
4)
vgl. GBK EPA, Entscheidung vom 25. April 2014, R 0019/12, EP:BA: 2014:R001912.20140425, Rn. 14.1