Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


verfahrensrecht:materielle_rechtskraft

finanzcheck24.de

Unterschiede

Hier werden die Unterschiede zwischen zwei Versionen angezeigt.

Link zu dieser Vergleichsansicht

Beide Seiten der vorigen RevisionVorhergehende Überarbeitung
Nächste Überarbeitung
Vorhergehende Überarbeitung
verfahrensrecht:materielle_rechtskraft [2021/05/18 07:43] mfreundverfahrensrecht:materielle_rechtskraft [2023/07/25 08:29] (aktuell) – Externe Bearbeitung 127.0.0.1
Zeile 1: Zeile 1:
 +====== Materielle Rechtskraft  ======
 +
 +<note>
 +**§ 322 (1) ZPO**
 +
 +[[Urteil|Urteile]] sind der [[Rechtskraft]] nur insoweit fähig, als über den durch die [[Klage]] oder durch die [[Widerklage]] erhobenen [[Anspruch]] entschieden ist.
 +</note>
 +
 +§ 705 ZPO -> [[Formelle Rechtskraft]] \\
 +-> [[Umfang der Rechtskraft]] \\
 +-> [[Streitgegenstand]] \\
 +
 +Nach § 322 Abs. 1 ZPO ist ein Urteil insoweit der Rechtskraft fähig, als
 +darin über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch
 +entschieden ist. Das bedeutet zum einen, daß eine erneute Klage mit identischem [[Streitgegenstand]]
 +unzulässig ist.((st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 - 1 ZR 269/00; m.V.a. BGHZ 93, 287, 288 f.; 123, 137, 139ff.; BGH, Urt. v. 17.3.1995 -VZR178/93, NJW 1995, 1757; Urt. v. 14.7.1995 -V ZR 171/94, NJW 1995, 2993 m.w.N.))
 +
 +Die materielle Rechtskraft einer [[gerichtliche Entscheidung|gerichtlichen Entscheidung]] verbietet eine neue Verhandlung über denselben [[Streitgegenstand]].((st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1992 - I ZR 224/90, GRUR 1993, 157, 158 [juris Rn. 20] = WRP 1993, 99 - Dauernd billig; Urteil vom 22. Oktober 2013 - XI ZR 42/12, BGHZ 198, 294 Rn. 13))
 +Der Sinn dieser Regelung liegt in der endgültigen Befriedung eines kontradiktorischen Parteienstreits, der über denselben Streitgegenstand nicht wiederholt werden soll. 
 +
 +Für den [[Umfang der Rechtskraft]] ist der [[Streitgegenstand]] maßgeblich. Dieser wird durch den Klageantrag (Rechtsfolge) und den Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet, bestimmt.((st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 17. Dezember 2020 - I ZR 158/19; m.V.a. BGH, Urteil vom 23. September 2012 - I ZR 230/11, BGHZ 194, 314 Rn. 18 - Biomineralwasser; Urteil vom 25. Juni 2020 - I ZR 96/19, WRP 2020, 1426 Rn. 23 - LTE-Geschwindigkeit, jeweils mwN))
 +
 +Urteile sind nach § 322 Abs. 1 ZPO jedoch nur insoweit der Rechtskraft fähig, als darin über den erhobenen Anspruch entschieden ist.((BGH, Urt. v. 17. Dezember 2020 - I ZR 158/19))
 +
 +
 +
 +Identität der Streitgegenstände ist dabei nicht nur dann anzunehmen, wenn im zweiten Prozeß der
 +nämliche Streitgegenstand zwischen denselben Parteien nochmals rechtshängig gemacht wird, sondern auch dann, wenn dort das mit dem Rechtsausspruch im ersten Prozeß unvereinbare "kontradiktorische Gegenteil" begehrt wird.((BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 - 1 ZR 269/00; m.V.a. BGHZ 123,137,139; BGH, Urt. v. 11.11.1994-VZR46/93, NJW 1995, 967, 968; BGH NJW 1995, 1757))
 +
 +Dementsprechend besitzt ein Urteil, das eine negative Feststellungsklage aus sachlichen Gründen abweist, dieselbe Rechtskraftwirkung wie ein Urteil, das das Gegenteil dessen, was mit der negativen Feststellungsklage begehrt wird, positiv feststellt.((BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 - 1 ZR 269/00; m.V.a. BGH, Urt. v. 9.4.1986
 +- IVb ZR 14/85, NJW 1986, 2508; Urt. v. 10.4.1986 - VII ZR 286/85, NJW 1986, 2508, 2509; BGH NJW 1995, 1757))
 +
 +Zum anderen besteht, wenn die im ersten Prozeß rechtskräftig entschiedene
 +Rechtsfolge im zweiten Prozeß nicht die Hauptfrage, sondern eine Vorfrage
 +darstellt, die Wirkung der Rechtskraft in der Bindung des nunmehr entscheidenden
 +Gerichts an die Vorentscheidung.((BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 - 1 ZR 269/00; m.V.a. BGH, Urt. v. 24.6.1993 - III ZR 43/92, NJW 1993, 3204, 3205; BGH NJW 1995, 1757; BGH NJW 1995, 2993))
 +
 +Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß die Bestimmung des § 322 Abs. 1 ZPO der Rechtskraft eines Urteils bewußt enge Grenzen gesetzt hat dergestalt, daß diese sich auf den unmittelbaren Gegenstand des Urteils, d.h. die Rechtsfolge beschränkt, die den Entscheidungssatz bildet, nicht aber auf einzelne Urteilselemente,
 +tatsächliche Feststellungen und rechtliche Folgerungen erstreckt, auf denen die getroffene Entscheidung aufbaut.((BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 - 1 ZR 269/00; m.V.a. BGH NJW 1986, 2508, 2509; BGH NJW 1995, 967))
 +
 +Dementsprechend beschränkt sich die Bindungswirkung auf den Streitgegenstand des früheren Rechtsstreits, wobei dieser Streitgegenstand durch den dortigen prozessualen Anspruch und den ihm zugrundeliegenden Lebenssachverhalt bestimmt wird.((BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 - 1 ZR 269/00; m.V.a. BGHZ 98, 353, 358; BGH NJW
 +1993, 3204, 3205; BGH NJW 1995, 1757 f.))
 +
 +Das bedeutet für Fälle, in denen im ersten Prozeß eine negative Feststellungsklage aus Sachgründen abgewiesen worden ist, daß die dort unterlegene Partei im zweiten Rechtsstreit mit allen Einwendungen gegen
 +den im ersten Prozeß bekämpften Anspruch präkludiert ist.((BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 - 1 ZR 269/00; m.V.a. BGH NJW 1995, 1757, 1758)) 
 +
 +Eine Erweiterung der vorstehend dargestellten Bindungswirkung von Urteilen auf präjudizielle
 +Rechtsverhältnisse im Rahmen von "Ausgleichszusammenhängen" oder "(zwingenden)
 +Sinnzusammenhängen" kommt nicht in Betracht.((BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 - 1 ZR 269/00))
 +
 +
 +Die materielle Rechtskraft nach § 322 ZPO erstreckt sich auf den Inhalt der Entscheidung und legt fest, in welchem Umfang das Gericht und die Parteien in einem neuerlichen, auf dem gleichen Lebenssachverhalt beruhenden Rechtsstreit um dieselbe Rechtsfolge an die rechtskräftige Entscheidung gebunden sind.((OLG Düsseldorf, I-2 U 60/05; m.V.a. Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 705 RN 1f.))
 +
 +Voraussetzung für die materielle Rechtskraft ist die [[formelle Rechtskraft]].
 +
 +Das Prozesshindernis der entgegenstehenden Rechtskraft ist in jeder 
 +Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten. Seine Prüfung setzt deshalb im Revisionsverfahren keine Verfahrensrüge voraus.((BGH, Urteil vom 7. April 2011 - I ZR 34/09 - Leistungspakete im Preisvergleich; m.V.a. BGH, Beschluss vom 16. Juni 1993 - I ZB 14/91, BGHZ  123, 30, 32 - Indorektal II; Urteil vom 23. Februar 2006 - I ZR 272/02, BGHZ 166, 253 Rn. 22 - Markenparfümverkäufe))
 +
 +
 +
 +==== Anwendung auf Entscheidung des Deutschen Patent- und Markenamts ====
 +
 +Der Rechtsgedanke ist indessen nicht auf eine gerichtliche Entscheidung im Löschungsverfahren beschränkt. Vielmehr sind die Grundsätze des § 322 ZPO auf eine bestandskräftige Entscheidung des Deutschen Patent- und Markenamts im Löschungsverfahren übertragbar. Im Hinblick auf die Justizförmigkeit des Verfahrens ist eine ent-sprechende Anwendung der Vorschriften der Zivilprozessordnung auf das Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt auch ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung nicht ausgeschlossen((BGH, Beschluss vom 16. Juli 2009 - I ZB 54/07; zum PatG: BGH, Beschl. v. 10.5.1994 - X ZB 7/93, GRUR 1994, 724, 725 - Spinnmaschine; zum markenrechtlichen Verfahren: BPatGE 42, 250, 253; Büscher in Büscher/Dittmer/Schiwy aaO § 56 MarkenG Rdn. 1; Kirschneck in Ströbele/Hacker aaO § 56 Rdn. 1))
 +
 +
 +
 +
 +
 +
 +==== Aufrechnung einer Gegenforderung ====
 +
 +<note>
 +**§ 322 (2) ZPO**
 +
 +Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so ist die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrages, für den die Aufrechnung geltend gemacht worden ist, der Rechtskraft fähig.      
 +</note>
 +
 +===== siehe auch =====
 +
 +-> [[Rechtskraft]] \\
 +§ 310 ff ZPO -> [[Urteil]]
 +