Hier werden die Unterschiede zwischen zwei Versionen angezeigt.
Beide Seiten der vorigen RevisionVorhergehende ÜberarbeitungNächste Überarbeitung | Vorhergehende Überarbeitung | ||
verfahrensrecht:gerichtliche_hinweispflicht [2020/10/19 07:39] – mfreund | verfahrensrecht:gerichtliche_hinweispflicht [2023/07/25 08:29] (aktuell) – Externe Bearbeitung 127.0.0.1 | ||
---|---|---|---|
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
+ | ====== Gerichtliche Hinweispflicht ====== | ||
+ | < | ||
+ | **§ 139 (2) ZPO** | ||
+ | |||
+ | Auf einen Gesichtspunkt, | ||
+ | </ | ||
+ | |||
+ | |||
+ | Das Gericht muss den Verfahrensbeteiligten nicht mitteilen, wie es den die Grundlage seiner Entscheidung bildenden Sachverhalt voraussichtlich würdigen wird. Es reicht in der Regel aus, wenn die Sach- und Rechtslage erörtert | ||
+ | und den Beteiligten dadurch aufgezeigt wird, welche Gesichtspunkte für die Entscheidung voraussichtlich von Bedeutung sein werden. Ein Hinweis kann lediglich geboten sein, wenn für die Beteiligten auch bei sorgfältiger Prozessführung nicht vorhersehbar ist, auf welche Erwägungen das Gericht seine Entscheidung stützen wird, und deshalb, weil diese Gesichtspunkte nicht angesprochen wurden, ein für die Entscheidung relevanter Sachvortrag unterbleibt.((BGH, | ||
+ | |||
+ | Ist nach diesen Grundsätzen ein Hinweis geboten, so muss das Gericht der Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion darauf geben. Bei einem in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis ist in solchen Fällen eine Vertagung | ||
+ | oder ein Übergang ins schriftliche Verfahren geboten, wenn es offensichtlich ist, dass sich die Partei in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend erklären kann.((BGH, Beschl. v. 15. September 2020 - X ZB 17/19; m.V.a. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2013 - VII ZR 192/11, NJW-RR 2013, 1358 Rn. 7; Beschluss vom 21. Januar 2020 - VI ZR 346/18, NJW-RR 2020, 574 Rn. 9)) | ||
+ | |||
+ | |||
+ | |||
+ | < | ||
+ | **§ 139 (3) ZPO** | ||
+ | |||
+ | Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen. | ||
+ | </ | ||
+ | |||
+ | < | ||
+ | **§ 139 (4) ZPO** | ||
+ | |||
+ | Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig. | ||
+ | </ | ||
+ | |||
+ | Nach § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO sind Hinweise so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nach § 139 Abs. 4 Satz 2 ZPO nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden.((BGH, | ||
+ | |||
+ | In einem Anwaltsprozess ist es Sache der Partei, eine Anpassung der Anträge in eigener Verantwortung vorzunehmen, | ||
+ | |||
+ | < | ||
+ | **§ 139 (5) ZPO** | ||
+ | |||
+ | Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann. | ||
+ | </ | ||
+ | |||
+ | |||
+ | § 139 (1) ZPO -> [[Pflicht des Gerichts zur Förderung der Verfahrensökonomie]] | ||
+ | |||
+ | Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs verstößt ein Gericht gegen Art. 103 Abs. 1 GG und das Gebot eines fairen Verfahrens, wenn es bei einer Entscheidung ohne vorherigen | ||
+ | Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte.((BGH, | ||
+ | |||
+ | |||
+ | Die Hinweispflicht nach § 139 Abs. 2 ZPO, die für das patentgerichtliche Beschwerdeverfahren nach § 82 Abs. 1 MarkenG entsprechend gilt, dient der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisiert den Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf [[rechtliches Gehör]].((BPatG, | ||
+ | |||
+ | Gerichtliche Hinweise sind nach § 139 Abs. 4 ZPO so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ergibt sich ein Hinweis nicht aus dem Verhandlungsprotokoll, | ||
+ | |||
+ | Die Hinweispflicht darf nicht in eine beratende Tätigkeit übergehen. Das Gericht ist deshalb nicht gehalten einem Beteiligten mitzuteilen, | ||
+ | |||
+ | Das Gericht ist zu einem Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO verpflichtet, | ||
+ | |||
+ | Die Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1 ZPO erstreckt sich grundsätzlich auch auf die fehlende Substantiierung des Vortrags.((BGH, | ||
+ | |||
+ | Das Bundesverfassungsgericht hat zur Vorschrift des § 139 ZPO a. F. entschieden, | ||
+ | |||
+ | Auch der Bundesgerichtshof hat wiederholt festgestellt, | ||
+ | |||
+ | Für den Zivilprozess besteht daher Einigkeit, dass ein gerichtlicher Hinweis geboten ist, wenn ein Gesichtspunkt erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten wurde, wenn der Eindruck erweckt wurde, ein bestimmter Gesichtspunkt sei nicht entscheidungserheblich oder wenn die Parteien einen Gesichtspunkt übereinstimmend anders beurteilen als das Gericht.((BPatG, | ||
+ | |||
+ | Grundsätzlich ist es weder Aufgabe des Gerichts, einen Kläger durch Fragen oder Hinweise zu veranlassen, | ||
+ | |||
+ | Das Erfordernis, | ||
+ | |||
+ | Unterlässt das Gericht den nach der Prozesslage gebotenen Hinweis nach § 139 Abs. 1 ZPO und erkennt es aus einem nicht nachgelassenen Schriftsatz der betroffenen Partei, dass diese sich offensichtlich in der mündlichen Verhandlung nicht ausreichend hat erklären können, ist gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.((st. Rspr.; BGH, Urteil vom 12. Mai 2011 - I ZR 20/10 - Schaumstoff Lübke; BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - VIII ZR 199/91, NJW 1993, 134; Beschluss vom 15. Februar 2005 - XI ZR 144/03, FamRZ 2005, 700; Urteil vom 18. September 2006 - II ZR 10/05, NJWRR 2007, 412 Rn. 4; Urteil vom 31. März 2010 - I ZR 34/08, GRUR 2010, 1117 Rn. 39 = WRP 2010, 1475 - Gewährleistungsausschluss im Internet)) | ||
+ | |||
+ | |||
+ | Das Gericht erfüllt seine Hinweispflicht gemäß § 139 Abs. 1 ZPO nicht, wenn es vor der mündlichen Verhandlung lediglich allgemeine und pauschale Hinweise erteilt. Es muss die Parteien vielmehr auf den fehlenden Sachvortrag, | ||
+ | |||
+ | Ein richterlicher Hinweis erfüllt nur dann seinen Zweck, Unklarheiten, | ||
+ | |||
+ | Ein Rechtsmittelführer, | ||
+ | |||
+ | |||
+ | ==== Rechtsauffassung des Gerichts ==== | ||
+ | |||
+ | Das Gebot rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG verlangt grundsätzlich nicht, dass das Gericht vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist; vertretbare rechtliche Gesichtspunkte muss ein Verfahrensbeteiligter prinzipiell von sich aus in Betracht ziehen.((BGH, | ||
+ | |||
+ | Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt aber dann vor, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und vernünftiger Verfahrensbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretener Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte.((BGH, | ||
+ | |||
+ | Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ge-währleistet Art. 103 Abs. 1 GG den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, | ||
+ | |||
+ | Eine Partei, der Prozesskostenhilfe für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gewährt worden ist, kann und darf nicht darauf vertrauen, dass ihre Nichtzulassungsbeschwerde nicht ohne vorherigen Hinweis zurückgewiesen wird.((BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 - X ZR 3/11 - Levitationsanlage)) | ||
+ | |||
+ | ==== Vortrag der gegnerischen Partei als Ersatz für gerichtlichen Hinweis ==== | ||
+ | |||
+ | Eines gerichtlichen Hinweises nach § 139 Abs. 1 ZPO bedarf es nicht, wenn die betroffene Partei infolge eines eingehenden, | ||
+ | |||
+ | Ebenso wie im Falle eines missverstandenen gerichtlichen Hinweises führt das Missverständnis eines im gegnerischen Parteivortrag enthaltenen Hinweises allerdings dazu, dass es einer Klarstellung durch das Gericht bedarf, um die betroffene Partei in die Lage zu versetzen, ihren Sachvortrag sachdienlich zu ergänzen((vgl. zum missverstandenen gerichtlichen Hinweis BGH, Urteil vom 25. Juni 2002 - X ZR 83/00, NJW 2002, 3317, 3320)). Die Hinweispflicht besteht grundsätzlich gegenüber einer anwaltlich vertretenen Partei jedenfalls dann, wenn der Prozessbevollmächtigte die Rechtslage erkennbar falsch beurteilt.((BGH, | ||
+ | |||
+ | |||
+ | |||
+ | |||
+ | |||
+ | ===== siehe auch ===== | ||
+ | |||
+ | -> [[Rechtliches Gehör]] |
Partnerprojekte: waidlerwiki.de - chiemgau-wiki.de