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Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
Das Gericht muss den Verfahrensbeteiligten nicht mitteilen, wie es den die Grundlage seiner Entscheidung bildenden Sachverhalt voraussichtlich würdigen wird. Es reicht in der Regel aus, wenn die Sach- und Rechtslage erörtert und den Beteiligten dadurch aufgezeigt wird, welche Gesichtspunkte für die Entscheidung voraussichtlich von Bedeutung sein werden. Ein Hinweis kann lediglich geboten sein, wenn für die Beteiligten auch bei sorgfältiger Prozessführung nicht vorhersehbar ist, auf welche Erwägungen das Gericht seine Entscheidung stützen wird, und deshalb, weil diese Gesichtspunkte nicht angesprochen wurden, ein für die Entscheidung relevanter Sachvortrag unterbleibt.1)
Ist nach diesen Grundsätzen ein Hinweis geboten, so muss das Gericht der Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion darauf geben. Bei einem in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis ist in solchen Fällen eine Vertagung oder ein Übergang ins schriftliche Verfahren geboten, wenn es offensichtlich ist, dass sich die Partei in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend erklären kann.2)
Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
Nach § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO sind Hinweise so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nach § 139 Abs. 4 Satz 2 ZPO nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden.3)
In einem Anwaltsprozess ist es Sache der Partei, eine Anpassung der Anträge in eigener Verantwortung vorzunehmen, wenn das Gericht auf eine für erforderlich gehaltene Anpassung der Anträge hinweist. Missachtet sie den Hinweis des Gerichts, so muss sie sich an den von ihr gestellten unzulänglichen Anträgen festhalten lassen.4)
Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.
§ 139 (1) ZPO → Pflicht des Gerichts zur Förderung der Verfahrensökonomie
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs verstößt ein Gericht gegen Art. 103 Abs. 1 GG und das Gebot eines fairen Verfahrens, wenn es bei einer Entscheidung ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte.5)
Die Hinweispflicht nach § 139 Abs. 2 ZPO, die für das patentgerichtliche Beschwerdeverfahren nach § 82 Abs. 1 MarkenG entsprechend gilt, dient der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisiert den Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör.6)
Gerichtliche Hinweise sind nach § 139 Abs. 4 ZPO so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ergibt sich ein Hinweis nicht aus dem Verhandlungsprotokoll, kann seine Dokumentation auch noch im Urteil erfolgen, sofern er hierdurch inhaltlich hinreichend konkretisiert wird.7)
Die Hinweispflicht darf nicht in eine beratende Tätigkeit übergehen. Das Gericht ist deshalb nicht gehalten einem Beteiligten mitzuteilen, auf welche Art und Weise er Mängel seines Sachvortrags im Einzelnen beheben kann.8)
Das Gericht ist zu einem Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO verpflichtet, wenn die Parteien erkennbar einen wesentlichen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt übersehen oder für unerheblich erachtet bzw. die Rechtslage falsch eingeschätzt haben. Denn ein Gericht verstößt gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es ohne vorherigen Hinweis auf Gesichtspunkte abstellt, mit denen die Verfahrensbeteiligten nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht zu rechnen brauchten. Für den vom Grundsatz der Mündlichkeit beherrschten Zivilprozess ist daher anerkannt, dass ein Verstoß gegen die Hinweispflicht eine Verpflichtung des Gerichts zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung begründen kann.9)
Die Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1 ZPO erstreckt sich grundsätzlich auch auf die fehlende Substantiierung des Vortrags.10)
Das Bundesverfassungsgericht hat zur Vorschrift des § 139 ZPO a. F. entschieden, es sei verfassungsrechtlich unbedenklich und im kontradiktorischen Zivilprozess nicht zu vermeiden, dass das Gericht bei einer eingehenden Erörterung der Sach- und Rechtslage eine prozessuale Variante kundtue, die nur im Interesse einer Partei stehe.11)
Auch der Bundesgerichtshof hat wiederholt festgestellt, dass das Gericht seine Hinweispflicht nicht erfülle, wenn es vor der mündlichen Verhandlung lediglich allgemeine oder pauschale Hinweise erteile. Dies gelte insbesondere in den Fällen, in denen sich die Erforderlichkeit des ergänzenden Vortrags nicht bereits aus dem Vorbringen des Verfahrensgegners ergebe, sondern von der Bewertung der Gerichte im Einzelfall abhänge.12)
Für den Zivilprozess besteht daher Einigkeit, dass ein gerichtlicher Hinweis geboten ist, wenn ein Gesichtspunkt erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten wurde, wenn der Eindruck erweckt wurde, ein bestimmter Gesichtspunkt sei nicht entscheidungserheblich oder wenn die Parteien einen Gesichtspunkt übereinstimmend anders beurteilen als das Gericht.13)
Grundsätzlich ist es weder Aufgabe des Gerichts, einen Kläger durch Fragen oder Hinweise zu veranlassen, neue Streitgegenstände in den Rechts-streit einzuführen, die in seinem bisherigen Vorbringen nicht einmal andeutungsweise eine Grundlage haben, noch sein Verfahren so zu gestalten, dass dem Kläger die Möglichkeit geboten wird, seine Klage zu erweitern.14)
Das Erfordernis, einen Hinweis nach § 139 ZPO aktenkundig zu machen, ihn insbesondere wenn er erst in der mündlichen Verhandlung erteilt wird zu protokollieren, hat auch die Funktion, dass der Hinweis in einer Form erteilt wird, die der betroffenen Partei die Notwendigkeit einer prozessualen Reaktion und sei es nur in der Form eines Antrags nach § 139 Abs. 5 ZPO deutlich vor Augen führt.15)
Unterlässt das Gericht den nach der Prozesslage gebotenen Hinweis nach § 139 Abs. 1 ZPO und erkennt es aus einem nicht nachgelassenen Schriftsatz der betroffenen Partei, dass diese sich offensichtlich in der mündlichen Verhandlung nicht ausreichend hat erklären können, ist gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.16)
Das Gericht erfüllt seine Hinweispflicht gemäß § 139 Abs. 1 ZPO nicht, wenn es vor der mündlichen Verhandlung lediglich allgemeine und pauschale Hinweise erteilt. Es muss die Parteien vielmehr auf den fehlenden Sachvortrag, den es als entscheidungserheblich ansieht, unmissverständlich hinweisen und ihnen die Möglichkeit eröffnen, ihren Vortrag sachdienlich zu ergänzen.17)
Ein richterlicher Hinweis erfüllt nur dann seinen Zweck, Unklarheiten, Unvollständigkeiten und Irrtümer auszuräumen, wenn er gezielt und konkret den einzelnen Mangel anspricht.18)
Ein Rechtsmittelführer, der die Verletzung einer gerichtlichen Hinweispflicht gemäß § 139 ZPO geltend macht, muss darlegen, wie er auf einen entsprechenden Hinweis reagiert, insbesondere was er hierauf im Einzelnen vorgetragen hätte und wie er weiter vorgegangen wäre. Er ist dabei grundsätzlich nicht gehindert, sein bisheriges Vorbringen zu ändern und insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen. Eine durch Änderungen etwa entstehende Widersprüchlichkeit in seinem Vortrag ist allein im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen.19)
Das Gebot rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG verlangt grundsätzlich nicht, dass das Gericht vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist; vertretbare rechtliche Gesichtspunkte muss ein Verfahrensbeteiligter prinzipiell von sich aus in Betracht ziehen.20)
Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt aber dann vor, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und vernünftiger Verfahrensbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretener Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte.21)
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ge-währleistet Art. 103 Abs. 1 GG den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern. Dabei kann es in besonderen Fällen auch geboten sein, den Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht der Entscheidung zugrunde legen will. Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung an-kommt. Es kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtli-chen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst bei Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte. Allerdings ist dabei zu beach-ten, dass das Gericht grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, muss daher ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen.22)
Eine Partei, der Prozesskostenhilfe für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gewährt worden ist, kann und darf nicht darauf vertrauen, dass ihre Nichtzulassungsbeschwerde nicht ohne vorherigen Hinweis zurückgewiesen wird.23)
Eines gerichtlichen Hinweises nach § 139 Abs. 1 ZPO bedarf es nicht, wenn die betroffene Partei infolge eines eingehenden, von ihr richtig erfassten Vortrags der gegnerischen Partei zutreffend über die Sach- und Rechtslage unterrichtet war.24)
Ebenso wie im Falle eines missverstandenen gerichtlichen Hinweises führt das Missverständnis eines im gegnerischen Parteivortrag enthaltenen Hinweises allerdings dazu, dass es einer Klarstellung durch das Gericht bedarf, um die betroffene Partei in die Lage zu versetzen, ihren Sachvortrag sachdienlich zu ergänzen25). Die Hinweispflicht besteht grundsätzlich gegenüber einer anwaltlich vertretenen Partei jedenfalls dann, wenn der Prozessbevollmächtigte die Rechtslage erkennbar falsch beurteilt.26)
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