Störerhaftung des Internetzugangsvermittlers

Access-Provider

§§ 8, 10 TMG → Haftungsprivileg des Diensteanbieters

Bei Access-Providern [→ Internetzugangsvermittler] entsteht nach den bisher anerkannten Grundsätzen [→ Störerhaftung] Prüf- oder Überwachungspflicht [→ Prüfungspflichten] erst mit dem Hinweis auf eine klare Rechtsverletzung.1)

Die Haftung des Internetzugangsvermittlers ist nur gegeben, wenn die Sperrung der beanstandeten Internetseite mit Blick auf dort verfügbare legale Inhalte verhältnismäßig ist, und wenn der Rechtsinhaber zuvor erfolglos gegen vorrangig Verantwortliche vorgegangen ist.2)

m Hinblick auf das Grundrecht der Internetnutzer auf Informationsfreiheit (Art. 11 Abs. 1 EU-Grundrechtecharta, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) verlangt der Gerichtshof der Europäischen Union, dass einem Internetzugangsvermittler auferlegte Sperrmaßnahmen streng zielorientiert sind, indem sie die Urheberrechtsverletzung beenden, ohne den Nutzern die Möglichkeit zu nehmen, rechtmäßig Zugang zu Informationen zu erlangen.3)

Eine Sperrung kann allerdings nicht nur dann zulässig sein, wenn ausschließlich rechtswidrige Informationen auf der Webseite bereitgehalten werden, weil sich der Anbieter eines auf Rechtsverletzungen angelegten Geschäftsmodells sonst hinter wenigen legalen Angeboten verstecken könnte.4)

Im Rahmen der Grundrechtsabwägung, in die neben dem Grundrecht des Zugangsvermittlers auf unternehmerische Freiheit (Art. 16 EU-Grundrechtecharta) und Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) auch das Grundrecht des Inhabers von Urheberrechten auf Schutz seines geistigen Eigentums (Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta, Art. 14 Abs. 1 GG) einzustellen ist, hat der Gerichtshof der Europäischen Union das Kriterium der strengen Zielorientierung dahingehend formuliert, dass die ergriffenen Sperrmaßnahmen den Internetnutzern die Möglichkeit, in rechtmäßiger Weise Zugang zu den verfügbaren Informationen zu erhalten, „nicht unnötig“ vorenthalten dürften.5)

Es ist daher auf das Gesamtverhältnis der rechtmäßigen zu den rechtswidrigen Inhalten, die über die beanstandete Domain erreichbar sind, abzustellen und zu fragen, ob es sich angesichts eines weiten Überwiegens illegaler Inhalte um eine nicht ins Gewicht fallende Größenordnung von legalen Inhalten handelt.6)

Eine Störerhaftung des Internetzugangsvermittlers wegen einer Urheberrechtsverletzung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weiter nur zumutbar, wenn der Rechtsinhaber zuvor erfolglos gegen diejenigen Beteiligten vorgegangen ist, die - wie der Betreiber der Internetseite - die Rechtsverletzung selbst begangen haben oder - wie der Host-Provider - zur Rechtsverletzung durch die Erbringung von Dienstleistungen beigetragen haben, es sei denn, einem solchen Vorgehen fehlt jede Erfolgsaussicht. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass der Zugangsvermittler ein von der Rechtsordnung gebilligtes und in Bezug auf Rechtsverletzungen Dritter neutrales Geschäftsmodell betreibt und der Betreiber der Webseite und sein Host-Provider wesentlich näher an der Rechtsgutsverletzung sind als derjenige, der nur allgemein den Zugang zum Internet vermittelt.7)

Der Gesetzgeber hat dieses Modell der subsidiären Haftung inzwischen in die Voraussetzungen für den gegenüber dem Zugangsvermittler geltend zu machenden Sperranspruch nach § 7 Abs. 4 Satz 1 TMG übertragen.8)

Ein Telekommunikationsunternehmen, das Dritten den Zugang zum Internet bereitstellt, kann von einem Rechteinhaber als Störer darauf in Anspruch genommen werden, den Zugang zu Internetseiten zu unterbinden, auf denen urheberrechtlich geschützte Werke rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden. In die im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung vorzunehmende Abwägung sind die betroffenen unionsrechtlichen und nationalen Grundrechte des Eigentumsschutzes der Urheberrechtsinhaber, der Berufsfreiheit der Telekommunikationsunternehmen und der Informationsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung der Internetnutzer einzubeziehen.9)

Eine Störerhaftung des Vermittlers von Internetzugängen kommt nur in Betracht, wenn der Rechteinhaber zunächst zumutbare Anstrengungen unternommen hat, gegen diejenigen Beteiligten vorzugehen, die - wie der Betreiber der Internetseite - die Rechtsverletzung selbst begangen haben oder - wie der Host-Provider - zur Rechtsverletzung durch die Erbringung von Dienstleistungen beigetragen haben. Nur wenn die Inanspruchnahme dieser Beteiligten scheitert oder ihr jede Erfolgsaussicht fehlt und deshalb andernfalls eine Rechtsschutzlücke entstünde, ist die Inanspruchnahme des Zugangsvermittlers als Störer zumutbar. Bei der Ermittlung der vorrangig in Anspruch zu nehmenden Beteiligten hat der Rechteinhaber in zumutbarem Umfang Nachforschungen anzustellen.10)

Bei der Beurteilung der Effektivität möglicher Sperrmaßnahmen ist auf die Auswirkungen der Sperren für den Zugriff auf die konkret beanstandete Internetseite abzustellen. Die aufgrund der technischen Struktur des Internets bestehenden Umgehungsmöglichkeiten stehen der Zumutbarkeit einer Sperranordnung nicht entgegen, sofern die Sperren den Zugriff auf rechtsverletzende Inhalte verhindern oder zumindest erschweren.11)

Eine Sperrung ist nicht nur dann zumutbar, wenn ausschließlich rechtsverletzende Inhalte auf der Internetseite bereitgehalten werden, sondern bereits dann, wenn nach dem Gesamtverhältnis rechtmäßige gegenüber rechtswidrigen Inhalten nicht ins Gewicht fallen. Dass eine Sperre nicht nur für den klagenden Rechteinhaber, sondern auch für Dritte geschützte Schutzgegenstände erfasst, zu deren Geltendmachung der Rechteinhaber nicht ermächtigt ist, steht ihrer Zumutbarkeit nicht entgegen.12)

siehe auch

Störerhaftung

1)
BGH, Urteil vom 15. Oktober 2020 - I ZR 13/19 - Störerhaftung des Registrars; m.V.a. BGHZ 208, 82 Rn. 27 - Störerhaftung des Access-Providers
2) , 8)
BGH, Urteil vom 15. Oktober 2020 - I ZR 13/19 - Störerhaftung des Registrars
3)
BGH, Urteil vom 15. Oktober 2020 - I ZR 13/19 - Störerhaftung des Registrars; m.V.a. EuGH, Urteil vom 27. März 2014 - C-314/12, GRUR 2014, 468 Rn. 56 = WRP 2014, 540 - UPC Telekabel
4) , 6)
BGH, Urteil vom 15. Oktober 2020 - I ZR 13/19 - Störerhaftung des Registrars; m.V.a. BGHZ 208, 82 Rn. 55 - Störerhaftung des Accessproviders, mwN
5)
EuGH, GRUR 2014, 468 Rn. 63 - UPC-Telekabel
7)
BGH, Urteil vom 15. Oktober 2020 - I ZR 13/19 - Störerhaftung des Registrars; m.V.a. BGHZ 208, 82 Rn. 83 - Störerhaftung des Access-Providers
9) , 10) , 11) , 12)
BGH, Urteil vom 26. November 2015 - I ZR 174/14 - Störerhaftung des Access-Providers