Unzulässige Änderung bei Aufnahme eines Disclaimers

Wie bei jeder anderen Änderung ist also bei der Änderung eines Anspruchs, durch die ein Gegenstand ausgeklammert wird [→ Disclaimer], der in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung als Teil der Erfindung offenbart war, zu prüfen, ob sie dazu führt, dass der Fachmann neue technische Informationen erhält. Das Ausklammern eines in der Anmeldung offenbarten Gegenstands kann folglich ein Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ sein, wenn es dazu führt, dass der Fachmann technische Informationen erhält, die er der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens nicht unmittelbar und eindeutig entnehmen würde.1)

Wenn etwa2) in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung eine Erfindung allgemein offenbart und beansprucht wurde und darüber hinaus mehrere spezifische Ausführungsformen oder Gruppen solcher Ausführungsformen offenbart wurden, von denen eine später durch den Disclaimer aus dem Schutzbegehren ausgeklammert wird, so wird der verbleibende Gegenstand, d. h. die verbleibende allgemeine Lehre, durch den Disclaimer in der Regel nicht verändert. Anders verhält es sich dagegen, wenn z. B. der im Anspruch verbleibende Gegenstand durch den Disclaimer auf eine Untergruppe des ursprünglich beanspruchten Gegenstands beschränkt würde und diese Untergruppe nicht als in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung offenbart angesehen werden könnte, auch nicht unter Berücksichtigung dessen, was der Fachmann unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens als implizit in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung enthalten ansehen würde. In diesem Fall wäre die Änderung ein Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ. Analog zu der Entscheidung T 615/95 läge eine unzulässige Erweiterung vor, wenn die Aufnahme eines Disclaimers in einen Anspruch zur Abgrenzung einer bis dahin nicht speziell erwähnten oder zumindest implizit offenbarten einzelnen Verbindung oder Gruppe von Verbindungen führen würde oder zur Folge hätte, dass dem verbleibenden beanspruchten Gegenstand eine bestimmte, ursprünglich nicht offenbarte Bedeutung verliehen würde.3)

Die Änderung eines Anspruchs durch die Aufnahme eines Disclaimers kann nicht schon deshalb nach Artikel 123 (2) EPÜ abgelehnt werden, weil weder der Disclaimer noch der durch ihn aus dem beanspruchten Bereich ausgeschlossene Gegenstand aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung herleitbar ist.4)

Ein Disclaimer, der für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit oder der ausreichenden Offenbarung relevant ist oder wird, stellt eine nach Artikel 123 (2) EPÜ unzulässige Erweiterung dar.5)

siehe auch

Disclaimer

1) , 3)
Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 30. August 2011 - G 2/10
2)
wie in G 1/03 (Nr. 2.1.3 der Entscheidungsgründe) dargelegt
4) , 5)
G 1/03 - Leitsatz