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— | verfahrensrecht:reichweite_des_unterlassungsgebots_im_einstweiligen_verfuegungsverfahren [2023/07/25 08:28] (aktuell) – angelegt - Externe Bearbeitung 127.0.0.1 | ||
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+ | ====== Reichweite des Unterlassungsgebots im einstweiligen Verfügungsverfahren | ||
+ | Für den Fall der Vollstreckung aus einem in einem Verfügungsverfahren erlassenen Titel muss bei dessen Auslegung berücksichtigt werden, dass die Hauptsache durch eine einstweilige Verfügung nur unter besonderen, engen Voraussetzungen vorweggenommen werden darf und dass außerdem die Verteidigungsmöglichkeiten des Schuldners vor der | ||
+ | Titulierung eingeschränkt sein können.((BGH, | ||
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+ | Diese Besonderheiten des Verfügungsverfahrens sprechen dagegen, aus einer Unterlassungsverfügung zugleich eine | ||
+ | Verpflichtung zum Rückruf abzuleiten. Eine entsprechende Auslegung kommt daher bei einem im Verfügungsverfahren ergangenen Unterlassungstitel nur beim Vorliegen besonderer Umstände in Betracht.((BGH, | ||
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+ | Auch ohne das Vorliegen solcher Umstände ist es dem Schuldner, der von der Unterlassungsverfügung betroffene Waren bereits weiterveräußert hat, aber regelmäßig zuzumuten, die Abnehmer aufzufordern, | ||
+ | nicht weiterzuvertreiben.((BGH, | ||
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+ | Ein Titel, der über die bloße Sicherung eines Anspruchs hinausgeht, weil der Gläubiger durch ihn vorläufig oder sogar endgültig befriedigt wird, darf als [[Leistungsverfügung]] nur unter engen Voraussetzungen ergehen. So wird | ||
+ | gefordert, dass - erstens - der Gläubiger dringend die sofortige Erfüllung seines Anspruchs benötigt, dass - zweitens - ein Hauptsacheverfahren nicht sinnvoll möglich ist, weil die Leistung, soll sie nicht ihren Sinn verlieren, dringend erbracht werden muss, und dass - drittens - die dem Gläubiger ohne Erlass eines Titels drohenden Nachteile nicht nur schwer wiegen, sondern darüber hinaus außer Verhältnis zu den dem Schuldner drohenden Schäden stehen.((BGH, | ||
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+ | Nach anderer, im Ergebnis aber ähnlicher Auffassung darf eine Leistungsverfügung nur ergehen, wenn - entsprechend | ||
+ | der Formulierung in § 49 Abs. 1 FamFG - ein dringendes Bedürfnis für eine solche Eilmaßnahme in dem Sinne besteht, dass der Gläubiger auf die sofortige Erfüllung dringend angewiesen, das heißt die geschuldete Handlung so kurzfristig zu erbringen ist, dass der Titel im ordentlichen Klageverfahren nicht erwirkt werden kann.((BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2017 - I ZB 96/16; m.V.a. Zöller/ | ||
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+ | Entsprechend diesen Grundsätzen ist es jedenfalls erforderlich, | ||
+ | des Schuldners die Interessen des Gläubigers deutlich überwiegen, | ||
+ | Schuldners, im Verfügungsverfahren zu Unrecht zum Rückruf verpflichtet zu werden, verhältnismäßig gering ist.((BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2017 - I ZB 96/16)) | ||
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+ | Diese Voraussetzungen sind im Verhältnis zu einem Schuldner, der rechtsverletzend gekennzeichnete oder aufgemachte Ware vor Erlass und Zustellung einer Unterlassungsverfügung vertrieben hat, in der Regel nicht erfüllt. | ||
+ | Anders ist die Sache etwa dann zu beurteilen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür sprechen, dass der Schuldner versucht hat, sich seiner Unterlassungspflicht durch die schnelle Weiterveräußerung der fraglichen Waren faktisch zu entziehen((Sakowski, | ||
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+ | Der Unterlassungstitel kann allerdings dahin auszulegen sein, dass der Schuldner zwar Maßnahmen zu ergreifen hat, um auf Dritte zur Verhinderung weiterer Verletzungshandlungen einzuwirken, | ||
+ | Maßnahmen aber allein der Sicherung der Abwehransprüche des Gläubigers dienen, ohne ihn in diesen Ansprüchen abschließend zu befriedigen. Die Auslegung kann demnach zu begrenzten positiven Handlungspflichten in der Weise | ||
+ | führen, dass eine Vorwegnahme der Hauptsache nicht droht, weil die geschuldeten Maßnahmen auf eine bloße Sicherung des Unterlassungsanspruchs gerichtet sind, so dass die engen Voraussetzungen einer Leistungsverfügung nicht erfüllt sein müssen.((BGH, | ||
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+ | Die Auslegung des Unterlassungstitels zur Klärung der Frage, ob und in welchem Umfang dieser den Schuldner zugleich zu einem positiven Tun in Form eines Rückrufs verpflichtet, | ||
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+ | Wenn eine einstweilige Verfügung ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners ergangen ist, konnte dieser nicht zu der Frage Stellung nehmen, ob und wie er auf seine Abnehmer einwirken kann. Dementsprechend kommt es bei der Vollziehung einer Unterlassungsverfügung in besonderem Maße darauf an, ob und inwieweit die Parteien im Vollstreckungsverfahren darlegen können, inwiefern eine positive Handlungspflicht des Schuldners den Anspruch des Gläubigers lediglich sichert oder bereits befriedigt.((BGH, | ||
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+ | Eine im Verfügungsverfahren grundsätzlich unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache liegt regelmäßig nicht vor, wenn der Schuldner die von ihm vertriebenen Waren aufgrund der gegen ihn ergangenen einstweiligen Verfügung nicht bei seinen Abnehmern zurückzurufen, | ||
+ | den Schuldner nicht unzumutbar, weil ihn unter diesen Umständen seinerseits aus dem mit dem Abnehmer geschlossenen Kaufvertrag die Nebenpflicht trifft, den Abnehmer darauf hinzuweisen, | ||
+ | ebenfalls mit einer gegen ihn gerichteten einstweiligen Verfügung zu rechnen hat.((BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2017 - I ZB 96/16)) | ||
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+ | ===== siehe auch ===== |
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