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verfahrensrecht:pruefungsumfang_des_berufungsgerichts

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Prüfungsumfang des Berufungsgerichts

§ 529 (1) ZPO

Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:

  1. die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
  2. neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

§ 529 (2) ZPO → Prüfung auf Verfahrensmängel

§ 531 ZPO → Zurückgewiesene und neue Angriffs- und Verteidigungsmittel

§ 529 Abs. 1 ZPO bestimmt, welche Tatsachen das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen hat.1)

Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen können sich auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung ergeben, insbesondere daraus, dass das Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdigt als das Gericht der Vorinstanz. Besteht aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, ist es zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichtet.2)

Eine den formalen Anforderungen des Revisionsrechts genügende Berufungsrüge ist dafür nicht erforderlich. Die dem Berufungsgericht nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO obliegende Kontrolle der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage des erstinstanzlichen Urteils besteht im Fall eines - wie hier - zulässigen Rechtsmittels ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge.3)

Bei der Berufungsinstanz handelt es sich um eine zweite - wenn auch eingeschränkte - Tatsacheninstanz, deren Aufgabe in der Gewinnung einer fehlerfreien und überzeugenden und damit richtigen Entscheidung des Einzelfalls besteht. Das Berufungsgericht hat deshalb die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen.4)

Hegt das Berufungsgericht Zweifel an der Richtigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellungen, die sich auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertungen ergeben können, so sind nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erneute Feststellungen geboten. Im Zuge dieser erneuten Tatsachenfeststellung muss das Berufungsgericht einen in erster Instanz vernommenen Zeugen gemäß § 398 Abs. 1 ZPO grundsätzlich nochmals vernehmen, wenn es seiner Aussage eine andere Tragweite oder ein anderes Gewicht als das erstinstanzliche Gericht beimessen möchte.5)

Unterlässt es dies, so verletzt es den Anspruch der benachteiligten Partei auf rechtliches Gehör.6)

Die erneute Vernehmung eines Zeugen darf unterbleiben, wenn sich das Berufungsgericht auf Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen, d. h. seine Glaubwürdigkeit, noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage, d. h. die Glaubhaftigkeit, betreffen, und es die Zeugenaussage deshalb ohne Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung bewerten kann, weil es keines persönlichen Eindrucks von dem Zeugen bedarf.7)

Mit dem zulässigen Rechtsmittel gelangt der gesamte aus den Akten ersichtliche Streitstoff des ersten Rechtszugs in die Berufungsinstanz.8)

Ob ein in zweiter Instanz konkretisiertes Vorbringen neu ist, hängt davon ab, wie allgemein es in erster Instanz gehalten war. Wird ein sehr allgemein gehaltener Vortrag erstmals in zweiter Instanz substantiiert, ist er neu; nicht neu ist demgegenüber Vortrag, mit dem ein bereits schlüssiges Vorbringen aus der ersten Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird.9)

Berufungsvorbringen im Patentnichtigkeitsverfahren, das auf eine bereits in erster Instanz vorgelegte Druckschrift gestützt wird, ist neu, wenn zu der konkreten technischen Information und den Anregungen zu der erfindungsgemäßen Lehre, die der Fachmann nach dem Berufungsvortrag der Schrift entnehmen soll, vor dem Patentgericht nicht vorgetragen worden ist.10)

Das Berufungsgericht ist nicht gehindert, die vom Erstgericht bejahte Glaubhaftigkeit der Bekundungen eines Zeugen zu verneinen, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten, der Zeuge jedoch verstorben ist oder seine erneute Vernehmung aus anderen Gründen nicht möglich ist.11)

siehe auch

§§ 511 - 541 ZPO → Berufung

1)
BGH, Urteil vom 13. Oktober 2022 - I ZR 111/21 - DNS-Sperre
2)
BGH, Urteil vom 25. März 2021 - I ZR 37/20 - myboshi; m.V.a. BGH, Urteil vom 15. Juli 2003 - VI ZR 361/02, NJW 2003, 3480, 3481 [juris Rn. 6]; Urteil vom 21. Juni 2016 - VI ZR 403/14, NJW-RR 2017, 219 Rn. 10 f. mwN; Beschluss vom 4. September 2019 - VII ZR 69/17, NJW-RR 2019, 1343 Rn. 11; Zöller/Heßler, ZPO, 33. Aufl., § 529 Rn. 7
3)
BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - I ZR 97/21 - dortmund.de; m.V.a. BGHZ 158, 269 [juris Rn. 14 und 19 f.]
4)
BGH, Urteil vom 25. März 2021 - I ZR 37/20 - myboshi; m.V.a. BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2016 - VIII ZR 300/15, NJW-RR 2017, 75 Rn. 23; BGH, NJW-RR 2019, 1343 Rn. 11 mwN
5)
BGH, Urteil vom 30. April 2015 - I ZR 127/14 - Abschlagspflicht; m.V.a. BGH, Beschluss vom 5. April 2005 - IV ZR 253/05, VersR 2006, 949 Rn. 2; Beschluss vom 14. Juli 2009 - VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 4
6)
BGH, Urteil vom 30. April 2015 - I ZR 127/14 - Abschlagspflicht; m.V.a. BVerfG, NJW 2005, 1487; BGH, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 4; Beschluss vom 21. März 2012 - XII ZR 18/11, NJW-RR 2012, 704 Rn. 6
7)
BGH, Urteil vom 30. April 2015 - I ZR 127/14 - Abschlagspflicht; m.V.a. BGH, Urteil vom 19. Juni 1991 - VIII ZR 116/90, NJW 1991, 3285, 3286; Urteil vom 10. März 1998 - VI ZR 30/97, NJW 1998, 2222, 2223; NJW-RR 2009, 1291 Rn. 5; NJW-RR 2012, 704 Rn. 7
8)
BGH, Urteil vom 12. März 2004 V ZR 257/03, BGHZ 158, 269, 278; Urteil vom 27. September 2006 VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414 Rn. 16; Urteil vom 22. Mai 2012 II ZR 35/10, juris Rn. 29
9)
BGH, Urteil vom 28. August 2012 - X ZR 99/11 - Fahrzeugwechselstromgenerator; m.V.a. BGH, Urteil vom 8. Juni 2004 VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245, 251; Urteil vom 18. Oktober 2005 VI ZR 270/04, BGHZ 164, 330, 333; Beschluss vom 21. Dezember 2006 VII ZR 279/05, NJW 2007, 1531, 1532 zur Konkretisierung u.a. durch Vorlage eines Parteigutachtens
10)
BGH, Urteil vom 28. August 2012 - X ZR 99/11 - Fahrzeugwechselstromgenerator
11)
BGH, Urteil vom 16. August 2016 - X ZR 96/14 - Yttrium-Aluminium-Granat
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