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verfahrensrecht:prozesskostensicherheit

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Prozeßkostensicherheit

§ 110 (1) ZPO

Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, leisten auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit.

§ 110 (2) ZPO → Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung von Prozesskostensicherheit

§ 111 ZPO → Nachträgliche Prozesskostensicherheit
§ 112 ZPO → Höhe der Prozesskostensicherheit

Nach der Bestimmung des § 110 (1) ZPO müssen Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit leisten.1)

Wer Kläger ist, bestimmt sich nach der Parteirolle in erster Instanz; dabei bleibt es auch für den Fall eines Rechtsmittelverfahrens, bei dem der Kläger Rechtsmittelbeklagter ist.2)

Auch im Rechtsmittelverfahren kommt es auf die Parteirolle in erster Instanz an.3)

Da die Einrede der mangelnden Sicherheitsleistung für die Prozesskosten die Zulässigkeit der Klage betrifft, ist für die Anordnung der Sicherheitsleistung ohne Bedeutung, ob die Klage begründet ist oder ein Rechtsmittel des Beklagten, das sich gegen ein der Klage stattgebende Urteil richtet, in der Sache Aussicht auf Erfolg hat.4)

Zweck der Einrede der mangelnden Sicherheit für die Prozesskosten ist es, den Beklagten vor den Nachteilen zu schützen, die ihm drohen, wenn er im Falle seines Obsiegens die Prozesskosten gegen den Kläger im Ausland beitreiben müsste. Da der Beklagte auch als Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an einer Sicherstellung für den Fall des Obsiegens hat, ist es zulässig, bereits vor der Entscheidung über die Zulassung der Revision, die Einrede zu erheben.5)

Die Höhe der zu leistenden Sicherheit wird gemäß § 112 Abs. 1 ZPO [→ Höhe der Prozesskostensicherheit] von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt.6)

Nach § 112 Abs. 2 Satz 1 ZPO [→ Höhe der Prozesskostensicherheit] ist bei der Festsetzung derjenige Betrag der Prozesskosten zugrunde zu legen, den der Beklagte wahrscheinlich aufzuwenden haben wird. Ergibt sich im Laufe des Rechtsstreits, dass die geleistete Sicherheit nicht hinreicht, so kann der Beklagte die Leistung einer weiteren Sicherheit verlangen, sofern nicht ein zur Deckung ausreichender Teil des erhobenen Anspruchs unbestritten ist (§ 112 Abs. 3 ZPO).7)

Bei einer juristischen Person richtet sich die Verpflichtung zur Leistung von Prozesskostensicherheit danach, ob sich der Sitz des Unternehmens in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens befindet.8)

Ob im Rahmen des § 110 Abs. 1 ZPO auf den satzungsmäßigen Sitz oder auf den tatsächlichen Verwaltungssitz abzustellen ist, ist vom Bundesgerichtshof bisher offen gelassen worden. In den zu beurteilenden Fällen war die Frage nicht entscheidungserheblich, weil sich entweder sowohl der satzungsmäßige Sitz als auch der Verwaltungssitz des Klägers in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union befanden9) oder die als Unternehmenssitz in Betracht kommenden Orte sämtlich in Drittstaaten belegen waren10).11)

Maßgebend dafür, wo eine Gesellschaft ihren Verwaltungssitz hat, ist der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungsorgane, also der Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden.12)

Sinn und Zweck der Prozesskostensicherheit ist es, den obsiegenden Beklagten vor Schwierigkeiten bei der Durchsetzung seines Kostenerstattungsanspruchs zu bewahren, die typischerweise bei einer Vollstreckung au- ßerhalb der Europäischen Union oder des Gebietes der Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und damit außerhalb der Anwendungsbereiche der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel-Ia-VO) bzw. der für vor dem 10. Januar 2015 eingeleitete Verfahren noch maßgeblichen Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (Brüssel-I-VO) und des Luganer Übereinkommens auftreten (vgl. BT-Drucks 13/10871 S. 17). Dieser Zweck wird nicht gefährdet, wenn Unternehmenssitz und Zustellmöglichkeit nicht an einem Ort zusammenkommen, sondern sich an unterschiedlichen Orten innerhalb der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums befinden, sei es in unterschiedlichen Mitglied- oder Vertragsstaaten oder an unterschiedlichen Orten innerhalb desselben Staates. Dementsprechend kommt es auch dann, wenn die Geschäftsführung von mehreren Geschäftsführern an unterschiedlichen Orten wahrgenommen wird, nicht darauf an, in welchem Verhältnis diese zueinander stehen, solange sich sämtliche Tätigkeitsorte der Geschäftsführer in der Union oder innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums befinden.13)

Die Einrede der mangelnden Sicherheitsleistung für die Prozesskosten gehört zu den die Zulässigkeit der Klage betreffenden verzichtbaren Rügen, die grundsätzlich vor der ersten Verhandlung zur Hauptsache, und zwar für alle Rechtszüge, erhoben werden muss.14)

Da über die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung für die Prozesskosten nur einmal und nicht in jeder Instanz erneut entschieden werden soll, ist in einer höheren Instanz die Einrede der mangelnden Sicherheitsleistung für die Kosten dieser Instanz nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für die Sicherheitsleistung erst in dieser Instanz eingetreten sind oder wenn die Einrede in den Vorinstanzen ohne Verschulden nicht erhoben worden ist.15)

Ein der Partei nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden liegt vor, wenn ein von ihr beauftragter Rechtsanwalt nicht die übliche Sorgfalt aufgewendet hat und deren Beachtung im Einzelfall auch zumutbar war.16)

Zum Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren der Zivilprozessordnung wird vertreten, dass die §§ 110 ff. ZPO wegen des in besonderem Maße geltenden Beschleunigungsgebots grundsätzlich unanwendbar seien, das Beschleunigungsinteresse des Gläubigers aber bei Anberaumung einer mündlichen Verhandlung gegenüber dem Sicherungsinteresse des Schuldners zurücktrete.17)

Zum Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines inländischen Schiedsspruchs hat der Bundesgerichtshof noch unter dem bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Verfahrensrecht entschieden, dass die §§ 110 ff. ZPO nicht entsprechend anwendbar sind. Für das Beschlussverfahren ohne mündliche Verhandlung nach § 1042a Abs. 1 Satz 1 ZPO aF hat er dies mit der Beschleunigungsbedürftigkeit des Verfahrens begründet, die Unanwendbarkeit aber auch auf das Urteilsverfahren nach § 1042a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO aF erstreckt. Maßgeblich hierfür ist die Annahme gewesen, dass es in der Praxis in aller Regel zu einer mündlichen Verhandlung nur im Fall der Erhebung von Aufhebungsgründen durch den Antragsgegner kommt, die dieser andernfalls durch die in § 1041 ZPO aF vorgesehene Aufhebungsklage geltend machen müsste, bei der er in der Rolle des Klägers die Einrede mangelnder Prozesskostensicherheit nicht erheben könnte.18)

Stellt der Antragsgegner im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs einen (Gegen-)Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs, sind die §§ 110 ff. ZPO auf ihn nicht entsprechend anwendbar.19) Dies ergibt sich aus der formalisierten Betrachtung der Parteirollen, die diesen Vorschriften zugrunde liegt. Nach § 110 Abs. 1 ZPO hat nur der Kläger als Angreifer - soweit die weiteren Voraussetzungen vorliegen - eine Prozesskostensicherheit zu erbringen; der Gegenangriff des Beklagten durch eine Widerklage führt nach § 110 Abs. 2 Nr. 4 ZPO nicht zu einer solchen Verpflichtung.20)

Hängt die Befugnis des Gläubigers zur vorläufigen Vollstreckung nach § 709 Satz 1 ZPO von der vorherigen Erbringung einer Sicherheitsleistung ab, so dient diese Sicherheitsleistung dem Interesse des Schuldners und soll ihm einen Ersatz für diejenigen Nachteile gewähren, die er bei einer etwaigen Zwangsvollstreckung erleidet; er soll davor geschützt werden, dass er zwar die Zwangsvollstreckung dulden muss, aber bei einem objektiv unrechtmäßigen Vollstreckungszugriff eventuelle Ersatzansprüche gegen den vollstreckenden Gläubiger nicht realisieren kann, wozu vor allem ein etwaiger Ersatzanspruch des Vollstreckungsschuldners nach § 717 Abs. 2 ZPO gehört.21)

Hierbei kommt es nicht darauf an, wann sich der Schaden entwickelt und der Schuldner die konkrete Vermögenseinbuße erlitten hat, entscheidend ist vielmehr, wann die Ursache für den Schaden gesetzt wurde, der durch die erzwungene Leistung des vorläufig vollstreckbar verurteilten Schuldners entstanden ist, gesetzt wurde. Zum ersatzfähigen Schaden können auch Aufwendungen gehören, die der Schuldner zwar zeitlich nach dem Berufungsurteil, aber zu dem Zweck gemacht hat, die entsprechend dem ergangenen Verbot vorübergehend unterlassenen Vertriebshandlungen wieder aufnehmen zu können, also die vorübergehend nicht vertriebenen Gegenstände wieder in den Verkehr zu bringen und einen etwa verlorenen Kundenkreis zurückzugewinnen.22); m.V.a. BGH NJW 1978, 163, 164))

1) , 8) , 11) , 13)
BGH, Urteil vom 21. Juni 2016 - X ZR 41/15 - Prozesskostensicherheit
2)
BGH, Beschluss vom 12. Januar 2023 - I ZB 33/22; m.V.a. BGH, Beschluss vom 23. Juli 2020 - I ZR 9/20, juris Rn. 15; Beschluss vom 23. September 2021 - I ZB 21/21, SchiedsVZ 2022, 32 [juris Rn. 5] mwN
3)
BGH, Beschluss vom 23. September 2021; m.V.a. BGH, Urteil vom 20. November 1961 - VIII ZR 65/61, BGHZ 37, 264, 266 [juris Rn. 12]; Beschluss vom 7. Oktober 1981 - VIII ZR 198/80, ZIP 1982, 113, 114 [juris Rn. 4]; Beschluss vom 23. Juli 2020 - I ZR 9/20, juris Rn. 15
4)
BGH, Beschl. v. 23. Juli 2020 - I ZR 9/20;
5)
BGH, Beschl. v. 23. Juli 2020 - I ZR 9/20; zur Annahmerevision: BGH, Urteil vom 17. März 1980 - II ZR 174/79, WM 1980, 504 [juris Rn. 5]
6) , 7)
BGH, Beschl. v. 23. Juli 2020 - I ZR 9/20
9)
BGH, Urteil vom 1. Juli 2002 - II ZR 380/00, BGHZ 151, 204, 208 f.
10)
BGH, Zwischenurteil vom 30. Juni 2004 - VIII ZR 273/03, NJW-RR 2005, 148, 149
12)
BGH, Urteil vom 21. Juni 2016 - X ZR 41/15 - Prozesskostensicherheit; m.V.a. BGH, Urteil vom 21. März 1986 - V ZR 10/85, BGHZ 97, 269, 272; Beschluss vom 10. März 2009 - VIII ZB 105/07, NJW 2009, 1610
14)
BGH, Beschluss vom 23. September 2021 - I ZB 21/21; m.V.a. § 532 Satz 2, § 282 Abs. 3 ZPO; vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2018 - XI ZR 549/17, NJW-RR 2018, 1458 Rn. 4 mwN; Beschluss vom 23. Juli 2020 - I ZR 9/20, juris Rn. 6; Beschluss vom 1. März 2021 - X ZR 54/19, juris Rn. 9
15)
BGH, Beschluss vom 23. September 2021 - I ZB 21/21; m.V.a. § 296 Abs. 3 ZPO; vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 2001 - XI ZR 243/00, NJW 2001, 3630 [juris Rn. 7]; Beschluss vom 19. Juli 2007 - IX ZR 150/05, juris Rn. 6; Beschluss vom 1. März 2021 - X ZR 54/19, juris Rn. 9
16)
BGH, Beschluss vom 23. September 2021 - I ZB 21/21; m.V.a. MünchKomm.ZPO/Prütting, ZPO, 13. Aufl., § 296 Rn. 134
17)
BGH, Beschluss vom 23. September 2021 - I ZB 21/21; m.V.a. MünchKomm.ZPO/Schulz, 6. Aufl., § 110 Rn. 4 mwN; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl., § 110 Rn. 2 mwN; Zöller/Herget, ZPO, 33. Aufl., § 110 Rn. 3; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 42. Aufl., § 110 Rn. 3; einschränkend auf den Fall der mündlichen Verhandlung nach Widerspruch Schmidt in Prütting/Gehrlein, ZPO, 13. Aufl., § 110 Rn. 5; Saenger/Woestmann, ZPO, 9. Aufl., § 110 Rn. 2; noch weiter differenzierend BeckOK.ZPO/Jaspersen aaO § 110 Rn. 3 f. mwN; generell für die Anwendung der §§ 110 ff. ZPO Schütze in Wieczorek/ Schütze, 4. Aufl., § 110 Rn. 7 und 11; generell dagegen Muthorst in Stein/Jonas aaO § 110 Rn. 14 mwN; Bünnigmann in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, 79. Aufl., § 110 Rn. 8 mwN; Goldbeck in Kern/Diehm, ZPO, 2. Aufl., § 110 Rn. 5
18) , 19)
BGH, Beschluss vom 23. September 2021 - I ZB 21/21; m.w.N.
20)
BGH, Beschluss vom 23. September 2021 - I ZB 21/21
21)
OLG Düsseldorf, I-2 U 112/05
22)
((OLG Düsseldorf, I-2 U 112/05
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