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verfahrensrecht:ersatzzustellung_in_der_wohnung_in_geschaeftsraeumen_und_einrichtungen

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Ersatzzustellung in der Wohnung, in Geschäftsräumen und Einrichtungen

§ 178 (1) ZPO

Wird die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung, in dem Geschäftsraum oder in einer Gemeinschaftseinrichtung, in der sie wohnt, nicht angetroffen, kann das Schriftstück zugestellt werden

1. in der Wohnung einem erwachsenen Familienangehörigen, einer in der Familie beschäftigten Person oder einem erwachsenen ständigen Mitbewohner, 2. in Geschäftsräumen einer dort beschäftigten Person, 3. in Gemeinschaftseinrichtungen dem Leiter der Einrichtung oder einem dazu ermächtigten Vertreter.

Die Ersatzzustellung setzt voraus, dass die Wohnung oder der Geschäftsraum des Adressaten an dem Ort, an dem zugestellt werden soll, tatsächlich von dem Adressaten genutzt wird. Der bloße, dem Empfänger zurechenbare Rechtsschein, dieser unterhalte unter der jeweiligen Anschrift eine Wohnung oder Geschäftsräume, genügt für eine ordnungsgemäße Zustellung nicht. Nach den §§ 178 bis 181 ZPO kann nur in der Wohnung bzw. den Geschäftsräumen oder durch Einwurf in die hierzu gehörenden Postempfangsvorrichtungen zugestellt werden, nicht aber dort, wo lediglich der Anschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraums besteht.1)

Eine erweiternde Auslegung dieser Bestimmungen, nach der der vom Empfänger zurechenbar gesetzte Rechtsschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraums genügt, scheidet aus. Wegen ihrer Bedeutung für die Wahrung des Grundrechts auf rechtliches Gehör und im Interesse der Rechtssicherheit haben die Zustellungsvorschriften formalen Charakter. Dieser verbietet es, über den Wortlaut der Bestimmungen hinausgehend eine Zustellung an dem Ort zuzulassen, an dem lediglich der (zurechenbare) Anschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraums des Empfängers besteht. Da die Voraussetzungen, unter denen ein solcher Anschein und seine Zurechenbarkeit gegenüber dem Empfänger angenommen werden könnten, wesentlich von den konkreten Verhältnissen abhingen, würde ansonsten die rechtliche Beurteilung der einzelnen Zustellung mit Unsicherheiten belastet, die mit ihrem Zweck unvereinbar wären.2)

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist allerdings anerkannt, dass es eine unzulässige Rechtsausübung darstellt, wenn der Zustellungsadressat, der einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt bewusst und zielgerichtet herbeigeführt hat, sich auf die Fehlerhaftigkeit einer Ersatzzustellung an diesem scheinbaren Wohnsitz beruft3). Hierbei handelt es sich aber nicht um die Erleichterung einer wirksamen Zustellung im Wege der objektiven Zurechnung eines Rechtsscheins. Vielmehr wird dem Empfänger im Lichte des das gesamte Recht beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter engen - und deshalb verfassungsrechtlich unbedenklichen4) - Voraussetzungen lediglich versagt, sich auf die Unwirksamkeit einer Zustellung zu berufen.5)

Infolgedessen reicht die Hervorrufung des Anscheins einer Wohnung nicht schon dann aus, wenn sie nicht lediglich auf Nachlässigkeit beruht, sondern dem Zustellungsadressaten bewusst ist. Vielmehr erfordern es die Sicherstellung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und die Beachtung der gesetzlichen Schranken für eine wirksame Ersatzzustellung grundsätzlich, dass der Zustellungsadressat bei dem Gericht oder einem Verfahrensbeteiligten bewusst einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt als Voraussetzung für eine Zustellung an dem betreffenden Ort hervorruft. Fehlt es an einem solchen Verfahrensbezug des bewusst hervorgerufenen Anscheins einer Wohnung, darf es dem Zustellungsadressaten regelmäßig nur dann versagt werden, sich auf die Unwirksamkeit der Ersatzzustellung zu berufen, wenn er diesen Anschein zumindest insofern zielgerichtet herbeigeführt hat, als er Auswirkungen seines Handelns auf eine Zustellung in einem anhängigen oder möglicherweise bevorstehenden Verfahren in Kauf genommen hat oder sich ihm solche Auswirkungen zumindest aufdrängen mussten.6)

Liegen die Voraussetzungen für eine Ersatzzustellung einer Klage oder eines Versäumnisurteils nicht vor, wird der Beklagte durch die Annahme einer wirksamen Zustellung in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.7)

Entsprechendes gilt für ein Urteil, mit dem der Einspruch des Beklagten gegen ein solches Versäumnisurteil verworfen wird, und für eine Entscheidung des Berufungsgerichts, mit dem die Berufung des Beklagten gegen das den Einspruch verwerfende Urteil des Gerichts des ersten Rechtszuges zurückgewiesen wird. Denn durch derartige Entscheidungen wird die Verletzung des Anspruchs des Beklagten auf rechtliches Gehör perpetuiert.8)

§ 178 (2) ZPO

Die Zustellung an eine der in Absatz 1 bezeichneten Personen ist unwirksam, wenn diese an dem Rechtsstreit als Gegner der Person, der zugestellt werden soll, beteiligt ist.

siehe auch

1)
BGH, Beschluss vom 14. Mai 2019 - X ZR 94/18; m.V.a. BGHZ 190, 99 Rn. 13
2)
BGH, Beschluss vom 14. Mai 2019 - X ZR 94/18; m.V.a. BGHZ 190, 99 Rn. 14
3)
BGHZ 190, 99 Rn. 15; BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2010 - V ZB 37/10, NJW-RR 2011, 233 Rn. 17; Beschluss vom 20. Oktober 2011 - V ZB 131/11, juris Rn. 11
4)
BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 2009 - 1 BvR 2333/09, NJW-RR 2010, 421 Rn. 18
5) , 6)
BGH, Beschluss vom 14. Mai 2019 - X ZR 94/18
7)
BGH, Beschluss vom 14. Mai 2019 - X ZR 94/18; m.V.a. BGH, Urteil vom 29. März 2017 - VIII ZR 11/16, BGHZ 214, 294 Rn. 53; Urteil vom 16. Juni 2011 - III ZR 342/09, BGHZ 190, 99 Rn. 14
8)
BGH, Beschluss vom 14. Mai 2019 - X ZR 94/18; m.V.a. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 1987 - 1 BvR 198/87, NJW 1988, 2361
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