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verfahrensrecht:erklaerung_mit_nichtwissen

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 +====== Erklärung mit Nichtwissen ======
 +
 +
 +<note>
 +**§ 138 (4) ZPO**
 +
 +Eine [[Erklärung mit Nichtwissen]] ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.
 +</note>
 +
 +§ 138 (1) ZPO -> [[Wahrheitspflicht]] \\
 +
 +Nach § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung sind.((BGH, Urteil vom 24. Januar 2023 - X ZR 123/20 - CQI-Bericht II))
 +
 +Bei juristischen Personen sind insoweit die Handlungen und Wahrnehmungen ihrer gesetzlichen Vertreter maßgeblich. Darüber hinaus hat eine Partei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Obliegenheit, sich die für
 +ein qualifiziertes Bestreiten erforderlichen Informationen zu verschaffen, soweit es sich um Vorgänge im Bereich von Personen handelt, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind.((BGH, Urteil vom 24. Januar 2023 - X ZR 123/20 - CQI-Bericht II; m.V.a. BGH, Urteil vom 8. Januar 2019 - II ZR 139/17, NJW-RR 2019, 747 Rn. 34; Urteil vom 19. April 2001 - I ZR 238/98, GRUR 2002, 190, 191 - DIE PROFIS; Urteil vom 15. November 1989 - VIII ZR 46/89, BGHZ 109, 205, 209))
 +
 +Ob ein [[einfaches Bestreiten]] als Erklärung gemäß § 138 Abs. 2 ZPO ausreicht oder ob ein substantiiertes Bestreiten erforderlich ist, hängt somit von dem Vortrag der Gegenseite ab.((BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 - I ZR 15/22 - KERRYGOLD; m.V.a. BGH, Urteil vom 4. April 2014 - V ZR 275/12, BGHZ 200, 350 [juris Rn. 11] mwN))
 +
 +Etwas anderes gilt hingegen dann, wenn eine Partei einen Vortrag mit Nichtwissen gemäß § 138 Abs. 4 ZPO bestreiten kann [-> [[Bestreiten mit Nichtwissen]]]. 
 +
 +Nach dieser Vorschrift ist die Erklärung einer Partei mit Nichtwissen über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Weitere Voraussetzung ist, dass die Partei für die jeweiligen Tatsachen nicht darlegungs- und beweisbelastet [-> [[Darlegungslast]], [[Beweislast]]] ist. Die Zulässigkeit einer solchen Erklärung schließt die Verpflichtung der Partei zu [[substantiiertes Bestreiten|substantiiertem Bestreiten]] aus. Dies gilt unabhängig von der Substantiierung des gegnerischen Vortrags. Auch ein detaillierter Vortrag kann - wenn die Voraussetzungen des § 138 Abs. 4 ZPO vorliegen - mit [[bloßes Nichtwissen|bloßem Nichtwissen]] bestritten werden. Eine Pflicht, eigene Ermittlungen anzustellen, um im Einzelnen auf den gegnerischen Vortrag eingehen zu können, besteht nicht. Ebenso darf ein Vortrag, welcher plausibel und naheliegend erscheint, mit Nichtwissen bestritten werden, ohne dass die bestreitende Partei Anhaltspunkte dafür aufzeigen muss, dass der Vortrag falsch sein könnte. Eine Grenze besteht nur insoweit, als für das Gericht und den Gegner der Umfang des Bestreitens erkennbar sein muss.((BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 - I ZR 15/22 - KERRYGOLD; m.V.a. BGHZ 200, 350 [juris Rn. 12] mwN)) 
 +
 +§ 138 Abs. 4 ZPO ermöglicht einer Partei, sich zu [[Tatsachen]], die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind, mit Nichtwissen zu erklären [-> [[Parteivorbringen]]]. Auf diese Weise kann die Partei die Beweisbedürftigkeit [-> [[Beweislast]]] einer ihr unbekannten Tatsache herstellen, die möglicherweise wahr ist und deshalb unter Beachtung der Wahrheitspflicht gemäß § 138 Abs. 1 ZPO nicht (als unwahr) bestritten werden darf.((BGH, Urt. v. 22. Juli 2021 - I ZR 123/20; m.V.a. MünchKomm.ZPO/Fritsche, 6. Aufl., § 138 Rn. 31))
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 +Den eigenen Handlungen oder Wahrnehmungen im Sinne des § 138 Abs. 4 ZPO sind Vorgänge im eigenen Geschäfts- und Verantwortungsbereich gleichgestellt. Die Partei hat eine Erkundigungspflicht, sofern die maßgebenden
 +Tatsachen Personen bekannt sind, die in ihrem Unternehmensbereich oder unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind. Dies hat zur Folge, dass eine Erklärung mit Nichtwissen unzulässig ist, wenn und soweit diese Informationspflicht besteht.((BGH, Urt. v. 22. Juli 2021 - I ZR 123/20; m.V.a. BGH, Urteil vom 10. Oktober 1994 - II ZR 95/93, NJW 1995, 130, 131 [juris Rn. 20]; Urteil vom 7. Oktober 1998 - VIII ZR 100/97, NJW 1999, 53, 54 [juris Rn. 14]; Urteil vom 2. Juli 2009 - III ZR 333/08, NJW-RR 2009, 1666 Rn. 16; Beschluss vom 28. März 2019 - I ZR 179/18, MMR 2019, 617 Rn. 19))
 +
 +Darf sich eine Partei gemäß § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen erklären, so kommt die Annahme einer Verpflichtung zum substantiierten Bestreiten nicht in Betracht. Unternimmt diese Partei gleichwohl den Versuch, ihr Bestreiten näher zu begründen, führt das auch dann nicht zur Unbeachtlichkeit ihrer Erklärung mit Nichtwissen, wenn sie dabei eine [[Behauptung ins Blaue hinein]] aufstellt.((BGH, Urt. v. 22. Juli 2021 - I ZR 123/20; m.V.a. BGH, Beschluss vom 29. November 2018 - I ZR 5/18, MDR 2019, 242 Rn. 10))
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 +Ein Vortrag des Gegegners kann mit Nichtwissen [[bestreiten|bestritten]] werden, wenn es sich um Tatsachen außerhalb des Wahrnehmungsbereichs der Partei handelt (§ 138 IV ZPO).
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 +Wird ein Parteivortrag mit Nichtwissen bestritten, so hat die Partei die Richtigkeit ihrer Behauptungen zu beweisen.
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 +Die Partei ist gehalten, sich die für ein substantiiertes Bestreiten erforderlichen Informationen nicht nur im eigenen Unternehmen, sondern auch von Personen zu beschaffen, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind.((BGH, Urt. v. 3. März 2005 – I ZR 111/02 m.w.N.))
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 +Das Bestreiten mit Nichtwissen nach § 138 IV ZPO ist allerdings nur in engen Grenzen zulässig. Die Behauptung, man habe die maßgeblichen Umstände vergessen liegt außerhalb dieser Grenzen. Wusste man eine Sache nämlich einmal, so ist man verpflichtet sich die Kenntnisse wieder zu verschaffen (BGHZ 109, 205). Das Wissen Dritter muss sich die Partei aber nicht ohne weiteres zurechnen lassen. Bei juristischen Personen soll es nur auf das Wissen der Organe ankommen. Nach Zöller (§ 138, Rd. 15) ist die Kenntnis der Angestellten kein eigenes Wissen der Organe, so dass hier Raum für das Bestreiten mit Nichtwissen sei. Es gilt der Grundsatz, dass das Organ (z. B. der Geschäftsführer) alles wissen muss. Auf das Wissen der Vertreter kommt es nicht an. Entscheidend ist allein das Wissen der Parteien.
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 +Ggf. steht die Erklärung mit Nichtwissen in ihrer Wirkung dem schlichten Bestreiten gleich und schließt die Zulässigkeit einer solchen Erklärung die Verpflichtung der Partei zu einem substantiierten Bestreiten aus. Unternimmt diese Partei gleichwohl den Versuch, ihr Bestreiten näher zu begründen, führt das auch dann nicht zur Unbeachtlichkeit ihrer Erklärung mit Nichtwissen, wenn sie dabei eine Behauptung ins Blaue hinein aufstellt.((BGH, Beschl. v. 29. November 2018 - I ZR 5/18; m.V.a. BGH, Urteil vom 7. Juli 1988 - III ZR 111/87, NJW-RR 1989, 41, 43 [juris Rn. 34]))
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 +Im Rechtsstreit über eine [[Patentrecht:Patentverletzung]] kann von der in Anspruch genommenen Partei grundsätzlich verlangt werden, dass sie auf Vortrag des Gegners zu den technischen Eigenschaften der angegriffenen Ausführungsform konkret erwidert.((BGH, Urteil vom 24. Januar 2023 - X ZR 123/20 - CQI-Bericht II))
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 +Wer ein Erzeugnis [-> [[Patentrecht:Verletzungsform]]] anbietet oder in Verkehr bringt, darf sich der Verantwortung für eine darin liegende Rechtsverletzung [-> [[Patentrecht:Haftung für die Patentverletzung]]] nicht dadurch entziehen, dass er Eigenschaften und Funktionsweise des Erzeugnisses nicht zur Kenntnis nimmt. Wenn eine solche Partei nicht selbst über die relevanten Informationen verfügt, ist sie im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren gehalten, sich diese Informationen von Dritten zu verschaffen, etwa durch Nachfrage bei Herstellern und Lieferanten oder durch eigene Untersuchungen. Im [[Patentrecht:Verletzungsrechtsstreit]] kann von der in Anspruch genommenen Partei deshalb grundsätzlich verlangt werden, dass sie auf Vortrag des Gegners zu den technischen Eigenschaften der angegriffenen Ausführungsform konkret erwidert.((BGH, Urteil vom 24. Januar 2023 - X ZR 123/20 - CQI-Bericht II; m.V.a. OLG Düsseldorf, Urteil vom 20. Januar 2017 - 2 U 43/12, juris Rn. 166; Urteil vom 8. Dezember 2016 - 2 U 6/13, juris Rn. 75 ff.; Urteil vom 17. Dezember 2015 - 2 U 54/04, juris Rn. 144; LG Mannheim, Urteil vom 4. Mai 2010 - 2 O 142/08, InstGE 12, 136, juris Rn. 214; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 15. Aufl., Kapitel B Rn. 10; Cepl/Voß/Nielen, Prozesskommentar Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 3. Aufl., § 138 ZPO Rn. 36; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 19. Aufl., § 138 Rn. 17))
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 +Ein Unternehmen muss schon vor Aufnahme des Vertriebs eines technischen Erzeugnisses prüfen, ob
 +dieses in den Schutzbereich fremder technischer Schutzrechte fällt.((BGH, Urteil vom 24. Januar 2023 - X ZR 123/20 - CQI-Bericht II; m.V.a. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2015 - X ZR 30/14, BGHZ 208, 182 Rn. 114 ff. - Glasfasern II)) Bei Erfüllung dieser Verpflichtung ist es regelmäßig in der Lage, auf Vortrag zu den Eigenschaften des Erzeugnisses in der gebotenen Weise zu erwidern. Kommt es dieser Verpflichtung nicht nach, darf dies nicht zu Lasten der Gegenseite gehen.((BGH, Urteil vom 24. Januar 2023 - X ZR 123/20 - CQI-Bericht II))
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 +===== siehe auch =====
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 +-> [[Prozeßhandlung]] \\
 +-> [[Parteivorbringen]] \\
 +-> [[Bestreiten]], [[Beweislast]] \\
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