Artikel 82 (4) des Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht beschreibt die Möglichkeit der Verhängung von Zwangsgeldern bei Nichtbefolgung einer Anordnung des Gerichts.
Leistet eine Partei einer Anordnung des Gerichts nicht Folge, so kann sie mit an das Gericht zu zahlenden Zwangsgeldern belegt werden. Das einzelne Zwangsgeld muss im angemessenen Verhältnis zu der Bedeutung der zu vollstreckenden Anordnung stehen und lässt das Recht der Partei, Schadenersatz oder eine Sicherheit zu fordern, unberührt.
Das nach Art. 82 EPGÜ festzusetzende Zwangsgeld hat sowohl Beuge- als auch Straffunktion. Ein Zwangsgeld kann daher nicht nur verhängt werden, um die Befolgung einer Anordnung zu erzwingen, sondern auch, um die Nichtbefolgung einer gerichtlichen Anordnung in der Vergangenheit zu bestrafen.1)
Mit dem nach Art. 82 Abs. 4 EPGÜ zu verhängenden Zwangsgeld soll die Nichtbefolgung der Entscheidungen des EPG geahndet werden. Dabei hat das Zwangsgeld, wie insbesondere die englische Sprachfassung („penalty payment“) zeigt, Strafcharakter; ein Zwangsgeld kann also nicht nur verhängt werden, um die Befolgung einer Anordnung zu erzwingen, sondern auch, um die in der Vergangenheit liegende Nichtbefolgung zu bestrafen2). Eine Beschränkung des Zwangsgeldes auf den Zweck, die betreffende Partei zur Befolgung einer gerichtlichen Anordnung anzuhalten, lässt sich dem Wortlaut von Art. 82 Abs. 4 EPGÜ nicht entnehmen.3)
Regel 354.3 EPGVO [→ Zwangsgeldzahlungen] regelt die Möglichkeit, wiederholte Zwangsgeldzahlungen für den Fall vorzusehen, dass eine Partei sich nicht an die Bestimmungen einer Anordnung hält.
Wird eine gerichtliche Anordnung durch eine Partei nicht befolgt, kann der erstinstanzliche Spruchkörper der betreffenden Kammer auf Antrag der anderen Partei oder von Amts wegen über die Festsetzung der in der Anordnung vorgesehenen Zwangsgelder entscheiden. Maßgebliches Kriterium für die Bestimmung der Höhe des Zwangsgeldes ist dabei die Bedeutung der Anordnung und damit letztlich das Interesse des Gläubigers an deren Durchsetzung, welches beispielsweise darin bestehen kann, die patentierten Produkte zu vertreiben.
Das Zwangsgeld soll den Schuldner verlässlich von zukünftigen Verstößen und Verletzungen abhalten und besitzt daher in erster Linie eine Beugefunktion. Daneben stellt das Zwangsgeld jedoch auch eine strafähnliche Sanktion für die Übertretung des gerichtlichen Verbots dar, weshalb die Verhängung von Zwangsgeldern als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal auch ein Verschulden des Schuldners voraussetzt.4)
Der doppelte Zweck des Zwangsgeldes erfordert es, die Bemessung des Zwangsgeldes jedenfalls in erster Linie mit Blick auf den Schuldner und dessen Verhalten vorzunehmen. Zu berücksichtigen sind insbesondere Art, Umfang und Dauer des Verstoßes, der Verschuldensgrad, der Vorteil des Verletzers aus der Verletzungshandlung und die Gefährlichkeit der begangenen und möglichen künftigen Verletzungshandlungen für den Verletzten.5)
Das Verhalten des Schuldners in der Vergangenheit stellt ein maßgebliches, wenn auch nicht zwingend das alleinige Indiz für die Höhe des zu verhängenden Zwangsgeldes dar. Je häufiger und intensiver der Schuldner gegen das ihm auferlegte Unterlassungsgebot verstoßen hat, desto klarer hat er seinen Unwillen zum Ausdruck gebracht, sich der Unterlassungsanordnung zu beugen. Dem hat die Bemessung des Zwangsgeldes Rechnung zu tragen: Hat der Schuldner in der Vergangenheit bereits mehrfach gegen die Unterlassungsanordnung verstoßen, erhöht sich der notwendige Druck, um ihn zukünftig zu einem anordnungsgemäßen Verhalten zu zwingen. Entsprechend höher muss daher das betreffende Zwangsgeld ausfallen. Hat sich der Schuldner demgegenüber ernsthaft darum bemüht, der Unterlassungsanordnung Folge zu leisten, ist dies zu seinen Gunsten zu berücksichtigen.6)
Die Voraussetzungen der Verhängung von Zwangsgeldern sind in Art. 82 Abs. 4 EPGÜ abschließend geregelt; im Recht der Vertragsmitgliedstaaten bestehende, weitergehende vollstreckungsrechtliche Erfordernisse sind insofern nicht zu beachten.7)
Der Beugecharakter des Zwangsgeldes ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 82 Abs. 4 EPGÜ.8)
Die Partei, die einer Anordnung des Gerichts nicht Folge leistet, kann nach der französischen Sprachfassung von Art. 82 Abs. 4 EPGÜ mit einer Strafe sanktioniert („sanctionnée par une astreinte“, Hervorhebung durch das Gericht) werden. Bestätigt wird der Sanktionscharakter dadurch, dass in französischem Recht der „astreinte“ nach herrschender Meinung Straffunktion zukommt, da sie auch bei verzögerter Befolgung der Anordnung verhängt werden kann (vgl. Art. L.131.4 Abs. 3 code des procédures civiles d´exécution). Dass „astreinte“ nach seinem originären Sinn die Bedeutung von „Zwang“ zukommen kann, kommt demgegenüber entgegen der Auffassung von Belkin angesichts des klaren Hinweises auf den Strafcharakter durch die Wortwahl „sanctionnée“ keine Bedeutung zu.9)
Auf den Strafcharakter weist aus denselben Gründen auch die englische Sprachfassung („sanctioned with a …penalty payment“) hin (vgl. Falck/Stoll in Tilmann/Plassmann, Art. 82 EPGÜ Rn. 123).10)
Gegen den Strafcharakter des Zwangsgeldes spricht nicht die deutsche Fassung von Art. 82 Abs. 4 EPGÜ. Danach kann die Partei mit „Zwangsgeldern belegt“ werden. Für den rechtskundigen deutschen Leser mag der Begriff „Zwangsgeld“ auf eine bloße Beugefunktion hinweisen, da in der deutschen Zivilprozessordnung zwischen „Zwangsgeld“ (§ 888 ZPO) und „Ordnungsgeld“ (§ 890 ZPO) unterschieden wird. Nur dem Ordnungsgeld kommt dabei Straffunktion zu. Jedoch ist angesichts der klaren Wortwahl in der englischen und französischen Sprachfassung davon auszugehen, dass der Ordnungsgeber bei der Wahl des Wortes „Zwangsgeld“ nicht diese im deutschen Zivilprozessrecht vorhandene Differenzierung im Blick hatte.11)
Es ist außerdem zu beachten, dass Art. 82 Abs. 4 EPGÜ nicht nur die Anordnung zur Erteilung der Auskunft, sondern auch Unterlassungsverfügungen betrifft. Es widerspräche dem Zweck von Unterlassungsverfügungen, wenn der Verletzer, der einer Unterlassungsverfügung in einer Endentscheidung oder in einer Anordnung betreffend einstweilige Maßnahmen nicht Folge geleistet hat, einer Sanktionierung dadurch entgehen könnte, dass er die Patentverletzung einige Zeit nach Erlass der Entscheidung einstellt. Dies stünde in Widerspruch zu dem Zweck der Verfahrensordnung, einen fairen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen aller Parteien zu gewährleisten (Art. 41 Abs. 3 EPGÜ).12)
Gegen eine Straffunktion spricht auch nicht, dass Art. 82 Abs. 4 EPG ein Verschulden nicht ausdrücklich fordert. Allerdings setzt eine strafähnliche Sanktion auch ein Verschulden voraus („nulla poena sine culpa“). Dem ist dadurch Rechnung zu tragen, dass eine Festsetzung von Zwangsgeld nur erfolgen kann, wenn ein Verschulden des Beklagten festgestellt werden kann. Das bedeutet, dass ein Zwangsgeld nur dann festgesetzt werden kann, wenn der Beklagte ihm mögliche und zumutbare Handlungen zur Erfüllung der zu vollstreckenden Verpflichtung nicht vorgenommen hat. Die Beweislast dafür, dass eine rechtzeitige und ordnungsgemäße Einhaltung nicht zumutbar und/oder nicht möglich war, trägt der Beklagte.13)
Die Beimessung eines Strafcharakters eines Zwangsgeldes verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die effiziente Durchsetzung des Patentrechts erfordert nicht nur, dass die vom Gericht ausgeurteilten Verpflichtungen erfüllt werden, vielmehr ist erforderlich, dass sie auch unverzüglich erfüllt werden.14)
Artikel 82 → Vollstreckung der Entscheidungen und Anordnungen
Regelt die Vollstreckbarkeit der Entscheidungen und Anordnungen des Gerichts in allen Vertragsmitgliedstaaten.
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