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upc:gruende_fuer_die_nichtigkeit_eines_patents

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Gründe für die Nichtigkeit eines Patents

Artikel 65 (2) des Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht beschreibt die Gründe, aus denen das Gericht ein Patent für nichtig erklären kann.

Artikel 65 (2)

Das Gericht kann ein Patent nur aus den in Artikel 138 Absatz 1 [→ Gründe für die Nichtigkeit] und Artikel 139 Absatz 2 EPÜ [→ Wirkung nationaler Patentanmeldungen und Patente als ältere Rechte] genannten Gründen entweder ganz oder teilweise für nichtig erklären.

Gemäß Art. 65 (1) (2) EPGÜ entscheidet das Gericht über die Gültigkeit eines Patents auf der Grundlage einer Nichtigkeitsklage oder einer Widerklage auf Nichtigkeit nur aus den in den Artikeln 138 (1) [→ Gründe für die Nichtigkeit] und 139 (2) EPÜ [→ Wirkung nationaler Patentanmeldungen und Patente als ältere Rechte] genannten Gründen.

Die Bewertung des erfinderischen Schrittes muss im Licht von Artikel 56 EPÜ [→ Erfinderische Tätigkeit] erfolgen, der festlegt, dass eine Erfindung dann als auf einem erfinderischen Schritt basierend gilt, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Daher ist festzustellen, ob der Fachmann angesichts des Standes der Technik durch seine technische Erkenntnis und einfache Handlungen die technische Lösung erhalten hätte, die im Streitpatent beansprucht wird. Der erfinderische Schritt wird anhand des speziellen Problems definiert, dem sich der Fachmann gegenüber sieht.1)

Anwendung des "problem-solution approach"

Das Gericht erster Instanz und das Berufungsgericht des Einheitlichen Patentgerichts haben den erfinderischen Schritt in verschiedenen Entscheidungen geprüft. Einige Entscheidungen bezogen sich ausdrücklich auf den Aufgabe-Lösungs-Ansatz (Problem-Solution Approach, PSA), wie er vom Europäischen Patentamt (EPA), einschließlich der Beschwerdekammern, sowie von mehreren nationalen Gerichten angewendet wird; andere wendeten einen anderen Ansatz an, der dem von der deutschen Bundesgerichtshof verwendeten Test zur erfinderischen Tätigkeit ähnlich, wenn nicht sogar identisch ist. Beide Tests, der „deutsche“ Test und der Aufgabe-Lösungs-Ansatz, sollten, wenn sie korrekt angewendet werden, in der Mehrzahl der Fälle zum selben Ergebnis führen (vgl. Deichfuss, GRUR Patent 2024, 94). Beide Tests erfordern einen „realistischen Ausgangspunkt“ und einen „Anreiz“ für die Fachperson, den „nächsten Schritt“ zu machen, also beispielsweise die technische Lösung, die durch den Ausgangspunkt offenbart ist, so zu verändern, dass sie zur patentierten Lösung führt. Da keiner der Tests im Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) verankert ist und beide im Wesentlichen zu denselben Ergebnissen führen, können beide als Instrument zur Beurteilung des erfinderischen Schritts herangezogen werden. Dennoch trifft dieses Spruchkörper die Entscheidung, den vom EPA einschließlich der Beschwerdekammern praktizierten PSA anzuwenden, soweit dies möglich ist, und dies ausdrücklich festzuhalten, da ein Bedürfnis nach Rechtssicherheit sowohl für die Nutzer des Systems als auch für die verschiedenen Kammern des Einheitlichen Patentgerichts besteht. Die Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes bringt die Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts zudem weiter in Einklang mit der Rechtsprechung des EPA und der Beschwerdekammern.2)

Für die Beurteilung, ob eine Erfindung angesichts des Stands der Technik als naheliegend anzusehen ist, soll der von der europäischen Patentorganisation entwickelte „Aufgabe-Lösungs-Ansatz“ vorrangig angewendet werden, soweit dies möglich ist, um die Rechtssicherheit zu erhöhen und die Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts weiter mit der Rechtsprechung der europäischen Patentorganisation und der Beschwerdekammern in Einklang zu bringen.3)

Das Urteil der Lokalkammer München bringt mit seiner ausdrücklichen Präferenz für den Aufgabe-Lösungs-Ansatz des Europäischen Patentamts (EPA) eine Weichenstellung für die Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts (UPC).

Die Intention des Gerichts ist nachvollziehbar: Mit der einheitlichen Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes wird eine kohärente Rechtsprechung angestrebt, die sich an den bekannten Standards des EPA orientiert und dadurch die Vorhersehbarkeit für Verfahrensbeteiligte erhöhen soll. In einem System, das grenzüberschreitende Streitigkeiten über europäische Patente bündelt, erscheint dies zunächst als konsequente Harmonisierung.

Allerdings ist kritisch anzumerken, dass der Aufgabe-Lösungs-Ansatz seiner Natur nach lediglich ein methodisches Hilfsmittel zur Strukturierung der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit darstellt, nicht jedoch eine starre Rechtsvorgabe. Der Begriff der „erfinderischen Tätigkeit“ ist im europäischen wie auch im einheitlichen Patentrecht bewusst als unbestimmter Rechtsbegriff ausgestaltet worden. Er soll die notwendige Flexibilität bieten, um den Anforderungen sich wandelnder technischer Entwicklungen und komplexer Einzelfallkonstellationen gerecht zu werden.

Die richterliche Entscheidung, den Aufgabe-Lösungs-Ansatz „vorrangig“, wenn auch nicht zwingend, zur Anwendung zu bringen, birgt daher die Gefahr einer Dogmatisierung dieses Ansatzes. Dabei darf nicht übersehen werden, dass auch innerhalb des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes erhebliche Wertungsspielräume bestehen – insbesondere bei der Definition des objektiv technischen Problems und der Frage, ob für die Fachperson ein Anreiz bestand, zur beanspruchten Lösung zu gelangen. Die vermeintliche Vorhersehbarkeit des Ergebnisses wird durch diese inhärente Subjektivität erheblich relativiert.

Wird der Aufgabe-Lösungs-Ansatz zu einer faktischen Verpflichtung erhoben, besteht das Risiko, dass die notwendige Flexibilität bei der rechtlichen Bewertung unterbleibt. Gerade komplexe oder interdisziplinäre Erfindungen könnten dann unter ein starres Schema gezwungen werden, das der Vielfalt technischer Lösungsansätze nicht immer gerecht wird. Dies könnte zu einer Formalisierung der Prüfung führen, bei der die entscheidende Würdigung der technischen Umstände des Einzelfalls hinter die bloße Anwendung des Schemas zurücktritt.

Dr. Martin Meggle-Freund

siehe auch

Artikel 65 → Entscheidung über die Gültigkeit eines Patents
Regelt, wie das Gericht über die Gültigkeit eines Patents entscheidet, einschließlich der Gründe für die Nichtigkeit und der Verfahren zur Änderung der Patentansprüche.

1)
EPG, Zentralkammer Paris, Beschl. v. 21. Januar 2025 – UPC_CFI_311/2023; m.V.a. Lokalkammer, Entscheidung vom 3. Juli 2024, UPC_CFI_230/2023; Artikel 56 EPGÜ
2) , 3)
EPG, Lokalkammer München, Urt. v. 4. April 2025 – UPC_CFI_501/2023
upc/gruende_fuer_die_nichtigkeit_eines_patents.txt · Zuletzt geändert: 2025/04/13 11:01 von mfreund