Nach der Rechtsprechung des EPG gelten für die Einführung neuer rechtlicher Argumente Einschränkungen [siehe auch: → Neue Tatsachen und Beweismittel]. Regel 13 EPGVO [→ Erforderliche Angaben in der Klageschrift] verlangt, dass die Klageschrift die Gründe enthält, warum die geltend gemachten Tatsachen eine Verletzung der Patentansprüche darstellen, einschließlich rechtlicher Argumente. Diese Bestimmung ist im Lichte des letzten Satzes von Erwägungsgrund 7 der Verfahrensordnung [→Effizienz des Verfahrens] auszulegen, wonach die Parteien ihren Fall so früh wie möglich im Verfahren darlegen müssen. Allerdings schließt Regel 13 EPGVO nicht aus, dass ein Kläger nach Einreichung der Klageschrift neue Argumente vorbringen kann. Ob ein neues Argument zulässig ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, einschließlich der Gründe, warum der Kläger das Argument nicht bereits in der Klageschrift vorgebracht hat, und den verfahrensrechtlichen Möglichkeiten des Beklagten, auf das neue Argument zu reagieren. Bei dieser Beurteilung verfügt das erstinstanzliche Gericht über einen gewissen Ermessensspielraum.1)
Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass der Kläger alle möglichen Verteidigungslinien vorwegnimmt und alle Argumente, Tatsachen und Beweise in der Klageschrift aufführt und einreicht und dass danach nichts mehr hinzugefügt werden kann. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Kläger, nachdem er ein Argument in seiner Klageschrift vorgebracht hat, dieses Argument in seiner Replik gemäß Regel 29 (a) oder (b) EPGVO weiter begründet, um auf eine Einwendung des Beklagten gegen das ursprünglich vorgebrachte Argument in seiner Klageerwiderung zu reagieren2). Im Übrigen sind die vorstehenden Grundsätze vor dem allgemeinen Grundsatz zu verstehen, dass das Gericht das Recht kennt („iura novit curia“) und die Parteien lediglich den Tatsachenstoff liefern müssen („da mihi facta, do tibi ius“).3)
Rechtliches Gehör bedeutet das Recht jeder Partei in einem Verfahren, ihre Argumente, Tatsachen und Beweismittel vorzubringen, auf die Ausführungen der Gegenseite zu reagieren und von der Entscheidungsfindung nicht ausgeschlossen zu werden.
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Macht das Gericht seine Entscheidung jedoch faktisch davon abhängig, ob und wann eine Partei ein bestimmtes rechtliches Argument einführt, wird die richterliche Rechtsanwendung an formale Prozessregeln gebunden – im Widerspruch zur Pflicht, aus dem festgestellten Sachverhalt die rechtlichen Schlüsse selbstständig zu ziehen. Ein solcher Umgang gefährdet die materielle Gerechtigkeit und läuft dem Zweck eines auf Rechtserkenntnis ausgerichteten Verfahrens zuwider.
— Dr. Martin Meggle-Freund