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patentrecht:offenkundige_vorbenutzung [2022/07/08 08:12] – mfreund | patentrecht:offenkundige_vorbenutzung [2023/07/25 08:24] (aktuell) – Externe Bearbeitung 127.0.0.1 | ||
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+ | ====== Offenkundige Vorbenutzung ====== | ||
+ | -> [[Offenkundige Vorbenutzung durch Vertrieb eines pharmazeutischen Erzeugnisses]] \\ | ||
+ | -> [[Öffentliche Zugänglichkeit]] \\ | ||
+ | -> [[Geheimhaltungsinteresse]] \\ | ||
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+ | Eine offenkundige Vorbenutzung, | ||
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+ | Eine Vorbenutzung ist offenkundig, | ||
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+ | Bei gewerblicher Entwicklungs- oder Erprobungstätigkeit, | ||
+ | Umstände die öffentliche Zugänglichkeit der gewonnenen Kenntnisse zu verneinen. Dies gilt jedenfalls so lange, wie die Kenntnisse nur solchen Personen zugänglich sind, die an dieser Entwicklungs- und Erprobungstätigkeit beteiligt sind.((BGH, Urteil vom 12. April 2022 - X ZR 73/20 - Oberflächenbeschichtung; | ||
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+ | Bei solcher Tätigkeit besteht im Hinblick auf beabsichtigte oder durchgeführte nachfolgende Schutzrechtsanmeldungen, | ||
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+ | In einer solchen Situation kommt es nicht darauf an, ob eine besondere Abrede zur Verschwiegenheit getroffen wird, ob der Dritte selbst kein eigenes Interesse an einer Geheimhaltung hat und ob sein Beitrag zu der Entwicklungstätigkeit eine eigene Mitberechtigung an in Frage kommenden Schutzrechten nicht erwarten lässt.((BGH, | ||
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+ | Die offenkundige Vorbenutzung kann als Widerrufsgrund im Rahmen des § 21 I Nr.1 PatG im [[Einspruch|Einspruchsverfahren]] und im [[Nichtigkeitsverfahren]] vorgebracht werden. | ||
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+ | Beruft sich der Einsprechende auf fehlende Patentfähigkeit des patentierten Gegenstandes infolge einer offenkundigen Vorbenutzung, | ||
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+ | Die Einspruchsbegründung muss einen **bestimmten Gegenstand der Benutzung** bezeichnen, damit überprüft und festgestellt werden kann, ob und gegebenenfalls inwieweit er den patentgemässen Gegenstand vorwegnimmt oder nahelegt.((BGH GRUR 97, 770 – " | ||
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+ | Ferner ist die **Angabe bestimmter Umstände der Benutzung** dieses Gegenstandes im Sinne des § 3 Abs. 1 PatG erforderlich, | ||
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+ | Schließlich bedarf es einer **nachprüfbaren Angabe dazu, wann der Gegenstand in dieser Weise benutzt worden ist**, weil nur dann ermittelt und gegebenenfalls festgestellt werden kann, ob der Gegenstand zum Stand der Technik gehört, von dem aus Neuheit und erfinderische Leistung der patentierten Lehre zu beurteilen sind.((BGH GRUR 97, 770 – " | ||
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+ | Die Veräußerung eines Gegenstands, | ||
+ | einer Geheimhaltungspflicht führt für sich genommen noch nicht zur Offenkundigkeit. Es muss vielmehr darüber hinaus die nicht nur theoretische Möglichkeit eröffnet sein, dass beliebige Dritte und damit auch Fachkundige zuverlässige und ausreichende Kenntnis von der Erfindung erlangen.((BGH, | ||
+ | ; m.V.a. BGH, Urteil vom 25. November | ||
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+ | Dies kann unmittelbar dadurch geschehen, dass ein unbegrenzter Personenkreis die Vorbenutzungshandlung oder den vorbenutzten Gegenstand wahrnimmt oder wahrnehmen kann. Es kann aber auch genügen, dass einzelne Fachleute, die nicht zur Geheimhaltung verpflichtet sind, entsprechende Kenntnis erlangen. Schließlich kommt in Betracht, dass zwar nur einzelne Personen, die keine Fachleute sind, den vorbenutzten Gegenstand wahrnehmen, ohne zur Geheimhaltung verpflichtet zu sein, jedoch die Möglichkeit besteht, dass sie ihre Kenntnisse | ||
+ | weitergeben. Insoweit bedarf es nicht der Feststellung, | ||
+ | Lebenserfahrung wahrscheinlich ist, dass der Betreffende die Vorbenutzungshandlung zur Kenntnis nimmt, die in ihr verkörperte technische Lehre erkennt und versteht und an Dritte weitergibt.((BGH, | ||
+ | |||
+ | Besteht die Benutzungshandlung darin, dass der betreffende Gegenstand an einen Dritten geliefert wird, kommt es darauf an, ob die Weiterverbreitung der von dem Empfänger der Lieferung erhaltenen Kenntnis an beliebige Dritte nach der Lebenserfahrung nahegelegen hat. Die Antwort auf diese Frage hängt maßgeblich davon ab, ob für den Mitteilungsempfänger eine Pflicht zur Geheimhaltung bestand oder wenigstens nach der Lebenserfahrung anzunehmen war, dass er die Benutzungshandlung, | ||
+ | von der Erfindung der Öffentlichkeit preisgegeben und die jedenfalls nicht fernliegende Möglichkeit geschaffen worden ist, dass beliebige Dritte von ihr Kenntnis nehmen können.((BGH, | ||
+ | Lichtbogen-Plasma-Beschichtungssystem)) | ||
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+ | |||
+ | Für eine offenkundige Vorbenutzung reicht zwar die nicht nur entfernte | ||
+ | Möglichkeit aus, dass beliebige Dritte und damit auch Fachkundige zuverlässige, | ||
+ | ausreichende Kenntnis von der Erfindung erhalten, und es kann die allgemeine Lebenserfahrung die Annahme rechtfertigen, | ||
+ | 5. März 1996 - X ZB 13/92, GRUR 1996, 747 - Lichtbogen-Plasma-Beschichtungssyste)) | ||
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+ | Die Schlussfolgerung, | ||
+ | nur entfernte Möglichkeit bestanden hat, dass beliebige Dritte und damit | ||
+ | auch Fachkundige durch eine Vorbenutzung zuverlässige Kenntnis von der | ||
+ | Erfindung erhalten, setzt voraus, dass wie etwa bei einem Angebot oder einer | ||
+ | Lieferung mindestens ein Kommunikationsakt feststeht, an den ein Erfahrungssatz | ||
+ | anknüpfen kann.((BGH, Urteil vom 9. Dezember 2014 - X ZR 6/13 - Presszange)) | ||
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+ | Für eine offenkundige Vorbenutzung reicht es deshalb nicht aus, dass ein Erfindungsbesitzer bereit gewesen ist, den Gegenstand der Erfindung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Vielmehr ist es erforderlich, | ||
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+ | Besonders darzulegen ist die Offenkundigkeit der Benutzung. Die Benutzung muß es einem Dritten ermöglichen, | ||
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+ | Die Vornahme der Untersuchung darf aber nicht sehr unwahrscheinlich sein. | ||
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+ | Für die Zugänglichkeit von Informationen genügt, daß die Öffentlichkeit auf sie Zugriff nehmen kann. Darauf, ob ein solcher Zugriff bereits stattgefunden hat oder die Kenntnisse von der Öffentlichkeit genutzt werden, kommt es nicht an.((Leitsatz 2 aus BGH, Urteil vom 05.06.1997 - X ZR 139/95 - Leiterplattennutzen)) | ||
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+ | Durch eine Benutzungshandlung wird die ihr zugrundeliegende technische Lehre der Öffentlichkeit nur dann zugänglich, | ||
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+ | Ein Angebot, das nicht an die Öffentlichkeit, | ||
+ | Vertragspartner gerichtet ist, stellt nur dann eine offenkundige Vorbenutzung | ||
+ | dar, wenn die Weiterverbreitung der dem Angebotsempfänger damit übermittelten | ||
+ | Kenntnis an beliebige Dritte nach der Lebenserfahrung nahegelegen | ||
+ | hat.((BGH, Urteil vom 9. Dezember 2014 - X ZR 6/13 - Presszange; m.V.a. BGH, Urteil vom 15. Januar 2013 - X ZR 81/11, GRUR 2013, 367 Rn. 20 f. - Messelektronik für Coriolisdurchflussmesser; | ||
+ | Urteil vom 8. Juli 2008 - X ZR 189/03, GRUR 2008, 885 Rn. 23 | ||
+ | - Schalungsteil; | ||
+ | 179 - Heizpressplatte)) | ||
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+ | Ist das Angebot auf die Herstellung eines erst noch zu entwickelnden | ||
+ | Gegenstands gerichtet, kann dies nicht ohne weiteres angenommen werden.((BGH, | ||
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+ | ==== Substanziierung eines Einspruchs aufgrund offenkundiger Vorbenutzung ==== | ||
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+ | Angaben über die Dauer einer Vorbenutzung, | ||
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+ | Außerdem müssen gemäß PatG § 59 Abs. 1 Sätze 2 und 4 innerhalb der Einspruchsfrist " | ||
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+ | Die Schilderung einer angeblich vorbenutzten Sache in der Einspruchsbegründung muß ausdrücklich und in positiver Form erfolgen. Der sich aus dem Gesetz für den Einsprechenden insoweit ergebenden Darlegungslast ist mit Anspielungen auf den Inhalt der patentierten Lehre nicht genügt. Ebensowenig reicht eine (stillschweigende) Bezugnahme auf den vorher wiedergegebenen Wortlaut der Ansprüche des angegriffenen Patents aus (BPatGE 22, 119). | ||
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+ | |||
+ | [[Geheimhaltungsvereinbarung|Geheimhaltungsvereinbarungen]] oder entsprechende Rechtsbeziehungen zwischen dem Patentinhaber und den Adressaten der Vorbenutzung schließen eine offenkundige Vorbenutzung aus. | ||
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+ | |||
+ | === Normen === | ||
+ | |||
+ | § 3 (1) S. 2 1. Alt PatG -> [[Schriftlicher Stand der Technik]] \\ | ||
+ | § 3 (1) S. 2 2. Alt PatG -> [[Mündliche Offenbarungen]] \\ | ||
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+ | § 3 (1) S. 1 PatG -> [[Neuheit]] \\ | ||
+ | § 3 (1) S. 2 PatG -> [[Stand der Technik]] \\ | ||
+ | |||
+ | § 3 (2) PatG -> [[Nachveröffentlichte Patentanmeldungen]] \\ | ||
+ | § 3 (3) PatG -> [[Stoffe und Stoffgemische|Sonderregelung für Stoffe und Stoffgemische]] \\ | ||
+ | § 3 (4) PatG -> [[Zweite medizinische Indikation]] \\ | ||
+ | |||
+ | § 3 (5) Satz 1 Nr. 1 PatG -> [[Neuheitsschonfrist bei offensichtlichem Mißbrauch]] \\ | ||
+ | § 3 (5) Satz 2 und 3 PatG -> [[Neuheitsschonfrist für Ausstellungen]] | ||
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+ | ===== siehe auch ===== | ||
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+ | -> [[Öffentliche Zugänglichkeit]] \\ |
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