Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


patentrecht:auslegung_der_patentansprueche

finanzcheck24.de

Unterschiede

Hier werden die Unterschiede zwischen zwei Versionen angezeigt.

Link zu dieser Vergleichsansicht

Beide Seiten der vorigen RevisionVorhergehende Überarbeitung
Nächste Überarbeitung
Vorhergehende Überarbeitung
patentrecht:auslegung_der_patentansprueche [2021/02/15 08:42] mfreundpatentrecht:auslegung_der_patentansprueche [2024/03/10 21:22] (aktuell) ne
Zeile 1: Zeile 1:
 +====== Auslegung der Patentansprüche ======
  
 +<note>
 +**§ 14 S. 2 PatG**
 +
 +Die [[Beschreibung]] und die [[Zeichnungen]] sind jedoch zur Auslegung der [[Patentansprüche]] heranzuziehen.
 +</note>
 +
 +§ 14 S. 1 PatG -> [[Schutzbereich des Patents]] \\
 +§ 34 (3) Nr. 3 PatG -> [[Patentansprüche]] \\
 +
 +-> [[Wortlaut des Patentanspruchs]] \\
 +-> [[Wortsinn des Patentanspruchs]] \\
 +-> [[Patentschrift als ihr eigenes Lexikon]] \\
 +-> [[Grundsatz des Vorrangs des Patentanspruchs]] \\
 +-> [[Funktion der Patentbeschreibung und der Zeichnungen bei der Auslegung der Patentansprüche]] \\
 +-> [[Einfluß des allgemeinen Fachwissens auf die Auslegung der Patentansprüche]] \\
 +-> [[Einfluß der Ausführungsbeispiele auf die Auslegung]] \\
 +-> [[Einfluß der Unteransprüche auf die Auslegung des Hauptanspruchs]] \\
 +-> [[Einfluß des in der Beschreibung genannten Stands der Technik auf die Auslegung]] \\
 +-> [[Einfluß des Erteilungsverfahrens auf die Auslegung]] \\
 +-> [[Einfluß der Anmeldeunterlagen auf die Auslegung]] \\
 +-> [[Einfluß der Entscheidungsgründe eines Nichtigkeitsurteils]] \\
 +-> [[Verbot der einschränkenden Auslegung der Patentansprüche]] \\
 +-> [[Verbot der verallgemeinernden Auslegung der Patentansprüche]] \\
 +-> [[Anspruchsauslegung aus Sicht des Fachmanns]] \\
 +-> [[Einbeziehung zukünftiger Entwicklungen in den Schutzbereich des Patents]] \\
 +-> [[Rechtsnormcharakter eines erteilten Patentanspruchs]] \\
 +-> [[Zweck-, Wirkungs- und Funktionsangaben]] \\
 +-> [[Klarheit der Patentansprüche]] \\
 +-> [[Auslegung der Patentansprüche im Patentverletzungsverfahren]] \\
 +-> [[Auslegung der Patentansprüche in der Revisionsinstanz]] \\
 +-> [[Auslegungsfehler als Revisionszulassungsgrund]] \\
 +-> [[Heranziehung eines Sachverständigen im Patentverletzungsverfahren]] \\
 +-> [[Zahlenangaben im Patentanspruch]] \\
 +-> [[Stoffbezeichnungen oder chemische Formeln im Patentanspruch]] \\
 +
 +
 +Die [[Prüfung der Patentfähigkeit]] erfordert regelmäßig eine Auslegung des Patentanspruchs, bei der dessen Sinngehalt in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen sind.((vgl. BGH GRUR 2012, 1124 – Polymerschaum I)) Dies gilt auch für das
 +[[Einspruchsverfahren|Einspruchs-]] und [[Einspruchsbeschwerdeverfahren]].((BPatG, Beschl. v. 23. Mai 2022 - 9 W (pat) 28/18))
 +
 +[[Gegenstand des Patents]] ist nach § 14 PatG diejenige technische Lehre, die der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann [-> [[Einfluß des allgemeinen Fachwissens auf die Auslegung der Patentansprüche]]] den [[Patentansprüche|Patentansprüchen]] unter Heranziehung der [[Patentbeschreibung]] (und -[[zeichnungen]]) und des darin mitgeteilten oder sonst zu seinem [[allgemeines Fachwissen|allgemeinen Fachwissen]] gehörenden Standes der Technik am Amnelde- oder Prioritätsstag ohne besondere Überlegungen entnimmt.((BGH GRUR 1978, S. 235 - "Stromwandler")) 
 +
 +Dabei ist nicht am Wortlaut der einzelnen Begriffe [-> [[Wortlaut des Patentanspruchs]]] zu haften, sondern auf den technischen Gesamtzusammenhang abzustellen, den der Inhalt der Patentschrift dem Fachmann vermittelt. Nicht die sprachliche oder logisch-wissenschaftliche Bestimmung der verwendeten Begriffe ist entscheidend, sondern das
 +Verständnis des unbefangenen Fachmanns.((BGH, Urteil vom 8. Juni 2021 - X ZR 47/19 - Ultraschallwandler; m.V.a. BGH, Urteil vom 2. März 1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909, 911 - Spannschraube))
 +
 +Im Rahmen der Auslegung sind der Sinngehalt des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen.((BGH, Urteil vom 8. Juni 2021 - X ZR 47/19 - Ultraschallwandler; m.V.a. BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 117/11, GRUR 2012, 1124 Rn. 27 - Polymerschaum))
 +
 +Die Patentschrift ist in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen und ein Patentspruch ist im Zweifel so zu verstehen, dass sich keine Widersprüche zur Beschreibung und den Zeichnungen ergeben. Nur wenn
 +und soweit sich die Lehre des Patentanspruchs nicht mit der Beschreibung und den Zeichnungen in Einklang bringen lässt und ein unauflösbarer Widerspruch verbleibt, dürfen die Bestandteile der Beschreibung oder der Zeichnungen, die im Patentanspruch keinen Niederschlag gefunden haben, nicht zur Bestimmung des Gegenstands des Patents herangezogen werden.((BGH, Urteil vom 8. Juni 2021 - X ZR 47/19 - Ultraschallwandler; m.V.a. BGH, Urteil vom 10. Mai 2011 - X ZR 16/09, GRUR 2011, 701 Rn. 24 - Okklusionsvorrichtung; BGH, Urteil vom 2. Juni 2015 - X ZR 103/13, GRUR 2015, 972 Rn. 22 - Kreuzgestänge))
 +
 +
 +Das Verständnis des Fachmanns von den im Patentanspruch verwendeten Begriffen und vom Gesamtzusammenhang des Patentanspruchs bildet zwar die Grundlage der Auslegung. Das bedeutet jedoch nur, dass sich der Tatrichter gegebenenfalls sachverständiger Hilfe bedienen muss, wenn es um die Frage geht, welche objektiven technischen Gegebenheiten, welches Vorverständnis der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Sachkundigen, welche Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen und welche methodische Herangehensweise dieser Fachleute das Verständnis des Patentanspruchs und der in ihm verwendeten Begriffe bestimmen oder jedenfalls beeinflussen können.((BGH, Urteil vom 17. November 2020 - X ZR 132/18 - Kranarm; m.V.a. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2005 - X ZR 76/04 - BGHZ 164, 261 = GRUR 2006, 131 Rn. 19 - Seitenspiegel))
 +
 +Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Auslegung des Patentanspruchs stets geboten und darf auch dann nicht unterbleiben, wenn der Wortlaut des Anspruchs [-> [[Wortlaut des Patentanspruchs]]] eindeutig zu sein scheint.((BGH, Urteil vom 12. Mai 2015 - X ZR 43/13 - Rotorelemente; m.V.a. BGH, Urteil vom 29. April 1986 - X ZR 28/85, BGHZ 98, 12, 18 - Formstein; Urteil vom 12. März 2002 - X ZR 168/00, BGHZ 150, 149, 153 - Schneidmesser I; Beschluss vom 17. April 2007 - X ZB 9/06, BGHZ 172, 108 - Informationsübermittlungsverfahren I; Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107, Rn. 27 - Polymerschaum I))
 +
 +Denn die Beschreibung des Patents kann Begriffe eigenständig definieren und insoweit ein "patenteigenes Lexikon" darstellen [-> [[Patentschrift als ihr eigenes Lexikon]]].((BGH, Urteil vom 12. Mai 2015 - X ZR 43/13 - Rotorelemente; m.V.a. BGH, Urteil vom 2. März 1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909 - Spannschraube))
 +
 +Auch der Grundsatz, dass bei Widersprüchen zwischen Anspruch und Beschreibung der Anspruch Vorrang genießt [-> [[Grundsatz des Vorrangs des Patentanspruchs]]], weil dieser und nicht die Beschreibung den geschützten Gegenstand definiert und damit auch begrenzt((BGH, Urteil vom 10. Mai 2011 - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330, Rn. 23 - Okklusionsvorrichtung)), schließt nicht aus, dass sich aus der Beschreibung und den Zeichnungen ein Verständnis des Patentanspruchs ergibt, das von demjenigen abweicht, das der bloße Wortlaut des Anspruchs vermittelt.((BGH, Urteil vom 12. Mai 2015 - X ZR 43/13 - Rotorelemente))
 +
 +Nach den Grundsätzen die der Bundesgerichtshof entwickelt hat, dient die Auslegung der Patentansprüche nicht nur der Behebung etwaiger Unklarheiten, sondern auch zur Erläuterung der darin verwendeten technischen Begriffe sowie zur Klärung der Bedeutung und der Tragweite der dort beschriebenen Erfindung.((BGHZ 98, 12 [18f] = GRUR 1986, 803 = NJW 1986, 3202 = LM § 14 PatG 1981 Nr. 3 - Formstein; BGHZ 105, 1 [10] = GRUR 1988, 896 = NJW 1989, 669 = LM EPÜ Nr. 4 - lonenanalyse; BGHZ 125, 303 [309f.] = GRUR 1994, 597 = NJW-RR 1995, 106 = LM H. 9/1994 § 14 PatG 1981 Nr. 10 - Zerlegvorrichtung für Baumstämme; GRUR 1992, 594 [596] - mechanische Betätigungsvorrichtung))
 +
 +Die Ermittlung des einem Patent zugrunde liegenden technischen Problems [-> [[Aufgabe der Erfindung]]] ist Teil der Auslegung des Patentanspruchs. Das technische Problem ist aus dem zu entwickeln, was die Erfindung tatsächlich leistet.((BGH, Urteil vom 4. Februar 2010 - Xa ZR 36/08 - Gelenkanordnung))
 +
 +Für die Auslegung eines Patents ist nicht die sprachliche oder logisch-wissenschaftliche Bedeutung der im Patentanspruch verwendeten Begriffe maßgeblich, sondern deren technischer Sinn, der unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung, wie sie sich objektiv aus dem Patent ergeben, zu bestimmen ist((vgl. nur BGH, Urteil vom
 +12. November 1974 - X ZR 76/68, GRUR 1975, 422, 424 - Streckwalze; Urteil vom 2. März 1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909, 912 - Spannschraube)). Maßgeblich sind dabei der Sinngehalt eines Patentanspruchs in seiner Gesamtheit
 +und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der patentierten Erfindung beitragen((vgl. nur BGH, Urteil vom 17. April 2007 - X ZR 72/05, BGHZ 172, 88 = GRUR 2007, 778 Rn. 14 - Ziehmaschinenzugeinheit I)). Aus der Funktion der einzelnen Merkmale im Kontext des Patentanspruchs ist abzuleiten, welches technische Problem diese Merkmale für sich und in ihrer Gesamtheit tatsächlich lösen((vgl. nur BGH, Urteil vom 17. Juli 2012
 +- X ZR 113/11, GRUR 2012, 1122 Rn. 22 - Palettenbehälter III)).((BGH, Urteil vom 13. Oktober 2015 - X ZR 74/14 - Luftkappensystem))
 +
 +Nach ständiger Rechtsprechung verlangt das mit der Patentauslegung erstrebte Erkenntnisziel, dass kein Unterschied gemacht wird, ob die Auslegung zur Beurteilung der Patentfähigkeit oder zur Prüfung vorgenommen wird, ob das Patent verletzt wird.((BGH, Beschluss vom 29. Juni 2010 - X ZR 193/03 - Crimpwerkzeug III; m.V.a. BGHZ 156, 179 Tz. 38 - blasenfreie Gummibahn I; Benkard/Rogge, Patentgesetz, 10. Aufl., § 22 PatG Rdn. 55))
 +
 +Ein erteilter Patentanspruch hat Rechtsnormcharakter((so wörtlich Sen.Beschl. v. 8.7.2008 - X ZB 13/06 Tz. 13, GRUR 2008, 887 - Momentanpol II)) und es ist eine Rechtsfrage, was sich aus einem Patentanspruch als geschützter Gegenstand ergibt((st. Rspr. seit BGHZ 142, 7 - Räumschild, vgl. z.B. BGHZ 160, 204 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung)). [-> [[Rechtsnormcharakter eines erteilten Patentanspruchs]]]
 +
 +Wie ein Patent auszulegen ist, ist eine [[Verfahrensrecht:Rechtsfrage]]. Deshalb ist die Auslegung vom Revisionsgericht in vollem Umfang nachprüfbar.((BGH, Urteil vom 17. November 2020 - X ZR 132/18 - Kranarm; m.V.a. BGH, Urteil vom 18. Mai 1999 - X ZR 156/97, BGHZ 142, 7, 15 - Räumschild)) Der Tatrichter darf die richterliche Aufgabe der Auslegung des Patentanspruchs nicht einem gerichtlichen Sachverständigen überlassen.((BGH, Urteil vom 17. November 2020 - X ZR 132/18 - Kranarm))
 +
 +
 +
 +Die Bestimmung des Sinngehalts eines Patentanspruchs ist Rechtserkenntnis und vom [[Verletzungsgericht]], wie von jedem anderen damit befassten Gericht, eigenverantwortlich vorzunehmen.((BGH, Urteil vom 2. Juni 2015 - X ZR 103/13 - Kreuzgestänge; m.V.a. BGH, Urteil vom 31. März 2009 - X ZR 95/05, BGHZ 180, 215 Rn. 16 - Straßenbaumaschine; BGH, Beschluss vom 29. Juni 2010 - X ZR 193/03, BGHZ 186, 90 Rn. 15 - Crimpwerkzeug III))
 +
 +Dies schließt die Möglichkeit ein, dass das Verletzungsgericht zu einem Auslegungsergebnis gelangt, das
 +von demjenigen abweicht, das der Bundesgerichtshof in einem dasselbe Patent betreffenden Patentnichtigkeitsverfahren gewonnen hat. Eine solche Divergenz rechtfertigt zwar, wenn sie entscheidungserheblich ist, die Zulassung der Revision((BGHZ 186, 90 Rn. 11 ff. - Crimpwerkzeug III)). Sie unterscheidet sich darin aber nicht von anderen Fällen einer von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs abweichenden und deshalb nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Zulassung der Revision rechtfertigenden Beurteilung einer Rechtsfrage durch ein Berufungsgericht. In diesen wie in jenen Fällen hat das Revisionsgericht zu prüfen, ob es an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält oder die besseren Gründe für die Beurteilung des Berufungsgerichts streiten. Eine solche bessere Erkenntnis kann sich im Patentstreitverfahren zudem aus vom Berufungsgericht festgestellten, der revisionsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legenden Tatsachen ergeben, die im Nichtigkeitsverfahren nicht festgestellt worden sind, sich aber auf die Auslegung des Patents auswirken((BGH, Urteil vom
 +11. Oktober 2005 - X ZR 76/04, BGHZ 164, 261 Rn. 19 - Seitenspiegel; Urteil vom 12. Februar 2008 - X ZR 153/05, GRUR 2008, 779 Rn. 31 - Mehrgangnabe)).((BGH, Urteil vom 2. Juni 2015 - X ZR 103/13 - Kreuzgestänge)) 
 +
 +Für das Verständnis eines einzelnen technischen Merkmals ist im Zweifel die Funktion entscheidend, die es bei der Herbeiführung des erfindungsgemäßen Erfolgs hat.(BGH, Urteil vom 24. September 2019 - X ZR 62/17, GRUR 2020, 159
 +Rn. 18 - Lenkergetriebe))
 +
 +===== Verfahrensmerkmale in Computerprogrammen =====
 +
 +Wenn ein Verfahrensanspruch keine Festlegungen bezüglich der Reihenfolge
 +bestimmter Verfahrensschritte enthält, ergibt sich für einen Patentanspruch betreffend ein Computerprogramm, das ein durch dieselben Merkmale beschriebenes Verfahren durchführt, keine abweichende Auslegung. ((BGH, Urteil vom 9. Januar 2024 - X ZR 74/21 - Happy Bit))
 +
 +===== siehe auch =====
 +
 +§ 14 S. 1 PatG -> [[Schutzbereich]] \\
 +§ 34 (3) Nr. 3 PatG -> [[Patentansprüche]] \\