§ 18 (3a) des Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) betont die Bedeutung von Netzwerkeffekten und anderen Faktoren bei mehrseitigen Märkten.
Insbesondere bei mehrseitigen Märkten und Netzwerken sind bei der Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens auch zu berücksichtigen:
1. direkte und indirekte Netzwerkeffekte,
2. die parallele Nutzung mehrerer Dienste und der Wechselaufwand für die Nutzer,
3. seine Größenvorteile im Zusammenhang mit Netzwerkeffekten,
4. sein Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten,
5. innovationsgetriebener Wettbewerbsdruck.
Ein mehrseitiger Markt im Sinne des § 18 Abs. 3a GWB ist ein Markt, bei dem eine Plattform mindestens zwei unterschiedliche Gruppen von Nutzern miteinander verbindet und zwischen diesen indirekte Netzwerkeffekte bestehen.
Mehrseitige Märkte im Sinn des § 18 Abs. 3a GWB sind nicht nur Plattformen, auf denen Geschäftsabschlüsse zwischen verschiedenen Nutzergruppen stattfinden oder vermittelt werden. Es genügt vielmehr, dass durch die Plattform die Aufmerksamkeit einer Nutzergruppe auf die andere gelenkt oder eine Interaktion zwischen unterschiedlichen Nutzergruppen technisch ermöglicht wird. Wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, wollte der Gesetzgeber mit der Einführung des § 18 Abs. 3a GWB im Jahr 2017 das traditionelle kartellrechtliche Marktverständnis im Sinn des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage erweitern und auf wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse zur - insbesondere digitalen - Plattformökonomie reagieren.1)
Diese Erkenntnisse gehen von der Beobachtung aus, dass wirtschaftliche und technologische Entwicklungen verschiedene Arten von Plattformen hervorgebracht haben, nämlich solche, die als Marktplatz dienen („Transaktionsplattformen“), solche, die auf die Informationsaufbereitung und -vermittlung ausgerichtet und regelmäßig werbefinanziert sind („Informations- oder Aufmerksamkeitsplattformen“), Plattformen, die dem sozialen Austausch gewidmet sind (soziale Netzwerke, soziale Medien) sowie technische Plattformen wie Betriebssysteme.2)
Aus wettbewerbsökonomischer Sicht sind Plattformen oder mehrseitige Märkte nicht nur wegen der Art der auf ihnen stattfindenden Interaktionen der verschiedenen Nutzergruppen von Bedeutung, sondern insbesondere auch wegen der mit den Interaktionen verbundenen indirekten positiven Netzwerkeffekte, die nicht nur dann eintreten, wenn auf der Plattform Geschäfte vermittelt werden, sondern auch bei anderen Formen des „Zusammenkommens“. In der wettbewerbsökonomischen Forschung besteht daher Einigkeit darüber, dass auch Plattformen, die keine geschäftlichen Transaktionen vermitteln, wettbewerblich relevant sein können.3)
Im Einklang mit diesem weiten Begriffsverständnis der Plattform oder des mehrseitigen Markts hat der Gesetzgeber bei Einführung des § 18 Abs. 3a GWB betont, dass es mehrseitige Märkte in vielfältiger Gestalt gebe.4)
Bei zahlreichen der in der Gesetzesbegründung exemplarisch angeführten mehrseitigen Märkte oder Plattformen finden direkte geschäftliche Transaktionen zwischen den unterschiedlichen Nutzergruppen oder Marktseiten entweder gar nicht oder aber nicht auf der Plattform statt, so etwa bei werbefinanzierten Medien, wo Werbende und Konsumenten zusammenkommen, bei technischen Standards wie Blue-ray, welches Anbieter von Inhalten auf Blue-ray Discs und Besitzer von Blue-ray-Playern zusammenbringt, bei Spielekonsolen, wo die unterschiedlichen Nutzergruppen die Entwickler von Spielen und die Spieler sind, bei Kreditkartensystemen, bei denen sich Kreditkarten akzeptierende Geschäfte einerseits und Kreditkartenbesitzer andererseits gegenüberstehen, sowie bei Betriebssystemen, die Entwickler von Programmen und Endkunden des Betriebssystems zusammenführen.5)
Dem folgend geht auch die rechtswissenschaftliche Literatur einhellig davon aus, dass mehrseitige Märkte nicht voraussetzen, dass auf ihnen Geschäftsabschlüsse stattfinden oder vermittelt werden.6)
Eine Tätigkeit auf mehrseitigen Märkten im Sinne des GWB liegt schon dann vor, wenn ein Unternehmen eine Plattform etwa für digitale Leistungen betreibt. Das Unternehmen muss dabei nicht selbst als Nutzer auf beiden Seiten der Plattform auftreten. Allein das Angebot der Plattform genügt; eine eigene Nutzerbeteiligung ist nicht erforderlich. 7)
Für die wettbewerbsrechtliche Analyse ist kennzeichnend, dass auf mehrseitigen Märkten indirekte Netzwerkeffekte auftreten. Das bedeutet, der Nutzen für eine Nutzergruppe erhöht sich dadurch, dass andere Gruppen auf derselben Plattform aktiver werden. Die Gesetzesbegründung und der BGH dehnen den Plattformbegriff daher weit aus und erfassen nicht nur Marktplätze oder App Stores, sondern auch Betriebssysteme oder Kommunikationsdienste, bei denen die technische Möglichkeit der Interaktion im Vordergrund steht.
§ 18 Abs. 3a GWB verweist ausdrücklich darauf, dass nicht nur Klassische Märkte mit direkter Vertragsbeziehung zwischen den Nutzergruppen erfasst sind, sondern auch Märkte, auf denen Aufmerksamkeit, technische Infrastruktur oder Schnittstellen zur Verfügung gestellt werden, die eine Interaktion erst ermöglichen.
Nach der Rechtsprechung setzt der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten voraus, dass das Unternehmen tatsächlich und rechtlich auf die Daten zugreifen und sie nutzen kann; bloße Zugangsmöglichkeiten oder ein zukünftiges Potential genügen hingegen nicht. 8)
Gerade auf digitalen Märkten treten Wechselkosten der Nutzer, Multihoming und Größenvorteile besonders deutlich hervor. Die marktbeherrschende Stellung kann sich dabei auch aus der Zusammenführung verschiedener Leistungen und Marktseiten innerhalb eines Ökosystems ergeben, wie der BGH am Beispiel eines Herstellers digitaler Endgeräte, eigener Betriebssysteme und eines App Stores ausgeführt hat.
Die Erweiterung des Marktbegriffs für Plattformen und Netzwerke erlaubt es, neue Entwicklungen der digitalen Ökonomie kartellrechtlich erfasst und bewertet zu wissen. Die Beurteilung der Marktstellung muss mit Blick auf die konkrete Ausgestaltung des Markts, die technischen Verbindungen und die daraus entstehenden (indirekten) Netzwerkeffekte erfolgen.
§ 18 GWB → Marktbeherrschung
Regelt die Kriterien und Bedingungen, unter denen ein Unternehmen als marktbeherrschend angesehen wird.
Partnerprojekte: waidlerwiki.de - chiemgau-wiki.de