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wettbewerbsrecht:nicht_bestellte_waren_oder_dienstleistungen

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Nicht bestellte Waren oder Dienstleistungen

Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG, Nr. 29

Unzulässige geschäftliche Handlungen im Sinne des § 3 Abs. 3 ist die Aufforderung zur Bezahlung nicht bestellter Waren oder Dienstleistungen oder eine Aufforderung zur Rücksendung oder Aufbewahrung nicht bestellter Sachen, sofern es sich nicht um eine nach den Vorschriften über Vertragsabschlüsse im Fernabsatz zulässige Ersatzlieferung handelt,

§ 3 (3) UWG → Katalog unzulässiger geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern

§ 7 (1) UWG → Verbot unzumutbarer Belästigungen

Gemäß Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG stellt die Aufforderung zur Bezahlung nicht bestellter, aber gelieferter Waren oder erbrachter Dienstleistungen oder eine Aufforderung zur Rücksendung oder Aufbewahrung nicht bestellter Sachen eine stets unzulässige geschäftliche Handlung dar.1)

Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG erfasst auch die Ankündigung einer fortlaufenden Lieferung von Waren, bei der eine unbestellte, aber als bestellt dargestellte Ware zugesandt und, falls der Verbraucher nicht binnen einer Frist widerspricht, deren Zusendung gegen Entgelt fortgesetzt wird.2)

Die spezielle Regelung in Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG in ihrem Anwendungsbereich verdrängt nicht das in § 7 Abs. 1 Satz 1 UWG statuierte generelle Verbot unzumutbarer Belästigungen, sondern ergänzt es.3)

Ein Irrtum des Unternehmers über den Umstand einer vorhergehenden Bestellung durch den zur Zahlung aufgeforderten Verbraucher ist im Rahmen der Prüfung der Unlauterkeit einer geschäftlichen Handlung unter dem Gesichtspunkt der Irreführung auch dann nicht zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, wenn dieser Irrtum nicht vorwerfbar ist.4)

Eine unzulässige geschäftliche Handlung nach Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG kann nur dann angenommen werden, wenn eine nicht bestellte Ware tatsächlich geliefert oder eine nicht bestellte Dienstleistung tatsächlich erbracht wurde. Das bloße Inaussichtstellen einer Warenlieferung oder Dienstleistungserbringung genügt nicht.5)

Waren sind nur dann als „geliefert“ und Dienstleistungen nur dann als „erbracht“ im Sinne von Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG anzusehen, wenn sie den zur Zahlung aufgeforderten Verbraucher in einer Weise erreicht haben, dass dieser tatsächlich in der Lage ist, sie zu nutzen oder sonst über deren Verwendung zu bestimmen.6)

Das Zusenden unbestellter Ware und deren Ankündigung stellt regelmäßig - zumal wenn sie an einen Verbraucher und unter den in Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG bestimmten Voraussetzungen erfolgt - eine unzumutbare Belästigung im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 UWG dar.7)

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Voraussetzungen von Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG nicht erfüllt sind, wenn der Unternehmer irrtümlich von einer Bestellung ausgeht und der Irrtum seine Ursache nicht in seinem Verantwortungsbereich hat, weil die Ware beispielsweise von einem Dritten unter dem Namen des Belieferten bestellt worden ist oder wenn unter derselben Adresse mehrere Personen gleichen Namens wohnen8). An dieser Ansicht hält der Senat jedoch nicht fest. Für die Annahme einer unzulässigen geschäftlichen Handlung gemäß Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG ist es vielmehr unerheblich, ob der Unternehmer irrtümlich von einer Bestellung des Verbrauchers ausgeht9).10)

Der Lauterkeitsverstoß gemäß Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG ist nach dem Wortlaut der Bestimmung objektiv zu beurteilen11). Die Vorschrift stellt auf die objektive Handlung des Unternehmers und die in ihr angelegte Drucksituation für den Verbraucher ab und verbietet diese Handlung per se.12)

Einzelfallabwägungen, auch solche über Irrtum und Verschulden des Unternehmers, sind ausgeschlossen, weil solche Gesichtspunkte an der unzumutbaren Belästigung des Verbrauchers nichts ändern, sondern nur zu einer der Rechtssicherheit abträglichen Motivforschungen beim Unternehmer führen.13)

Der bei der Auslegung des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG zu berücksichtigende Anhang I zu Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29/EG enthält eine Liste jener Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind. Diese Liste gilt einheitlich in allen Mitgliedstaaten und kann nur durch eine Änderung der Richtlinie abgeändert werden. Gemäß Erwägungsgrund 17 enthält der Anhang I der Richtlinie im Interesse der Schaffung größerer Rechtssicherheit eine Liste solcher Geschäftspraktiken, die ohne eine Beurteilung des Einzelfalls anhand der Bestimmungen der Artikel 5 bis 9 als unlauter gelten können.14)

Diesem Ziel der Schaffung größtmöglicher Rechtssicherheit durch absolute Verbote ohne Beurteilung der Umstände des Einzelfalls steht es entgegen, die Unzulässigkeit einer Geschäftspraxis über den Wortlaut einer im Anhang I der Richtlinie 2005/29/EG geregelten Handlung hinausgehend unter Berücksichtigung des Motivs des Gewerbetreibenden oder von Verschuldenskriterien - wie der Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit von missbräuchlichen Bestellungen Dritter im Namen des Verbrauchers oder der Zugehörigkeit eines solchen Missbrauchs zur Sphäre des Gewerbetreibenden - zu bestimmen.15)

Außerdem ist bei der Auslegung des Tatbestands der Nr. 29 des Anhangs I der Richtlinie 2005/29/EG zu berücksichtigen, dass der Zweck der Richtlinie unter anderem in der Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus besteht. Das Ziel, die Verbraucher umfassend vor unlauteren Geschäftspraktiken zu schützen, beruht auf dem Umstand, dass sich ein Verbraucher im Vergleich zu einem Gewerbetreibenden insbesondere hinsichtlich des Informationsni veaus in einer unterlegenen Position befindet (vgl. EuGH, GRUR 2018, 1156 Rn. 54 - AGCM).

Überdies sind die Bestimmungen der Richtlinie 2005/29/EG im Wesentlichen aus der Sicht des Verbrauchers als eines Adressats und Opfers unlauterer Geschäftspraktiken konzipiert16). Auch diese Umstände sprechen dafür, allein auf die Belästigung des Verbrauchers abzustellen, die durch eine unberechtigte Zahlungsaufforderung unabhängig davon verursacht wird, ob dem Gewerbetreibenden das Fehlen einer Bestellung des Verbrauchers bewusst ist.17)

Aus Art. 9 Buchst. c der Richtlinie 2005/29/EG, der ein bewusstes Handeln des Gewerbetreibenden voraussetzt, kann kein Erfordernis einer Kenntnis des Gewerbetreibenden von einer fehlenden Bestellung abgeleitet werden. Dieser Tatbestand betrifft bestimmte Verhaltensweisen des Gewerbetreibenden, die auf eine aggressive Geschäftspraktik schließen lassen können, wie das bewusste Ausnutzen von konkreten Unglückssituationen; ihm kann nicht entnommen werden, dass bei aggressiven Geschäftspraktiken stets ein subjektives Element gegeben sein muss.18)

siehe auch

1) , 10) , 12) , 15) , 17)
BGH, Urteil vom 6. Juni 2019 - I ZR 216/17 - Identitätsdiebstahl
2)
BGH, Urteil vom 17. August 2011 - I ZR 134/10 - Auftragsbestätigung
3)
BGH, Urteil vom 17. August 2011 - I ZR 134/10 - Auftragsbestätigung; m.V.a. Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 37. Aufl., § 7 Rn. 82 i.V.m. Rn. 5; Fezer/Mankowski § 7 Rn. 370; Hasselblatt in Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl., § 61 Rn. 91
4)
BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2021 - Spreewälder Gurken II; Bestätigung von BGH, Urteil vom 6. Juni 2019 - I ZR 216/17, GRUR 2019, 1202 Rn. 26 = WRP 2019, 1471 – Identitätsdiebstahl I
5)
BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2021 - Spreewälder Gurken II; Aufgabe von BGH, Urteil vom 17. August 2011 - I ZR 134/10, GRUR 2012, 82 Rn. 12 = WRP 2012, 198 - Auftragsbestätigung
6)
BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2021 - Spreewälder Gurken II; Klarstellung von BGH, GRUR 2019, 1202 Rn. 32 - Identitätsdiebstahl
7)
BGH, Urteil vom 17. August 2011 - I ZR 134/10 - Auftragsbestätigung; m.V.a Fezer/Mankowski, § 7 Rn. 371 mwN; zur Zusendung unbestellter Ware an Unternehmer vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 37. Aufl., § 7 Rn. 86; Harte/Henning/Ubber, UWG, 2. Aufl., § 7 Rn. 96
8)
BGH, GRUR 2012, 82 Rn. 18 - Auftragsbestätigung; ebenso JurisPK.UWG/Koch, Stand 1. Mai 2016, Anhang zu § 3 Abs. 3 Nr. 29 Rn. 5; Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Anhang zu § 3 Abs. 3 Rn. 29.8; Schöler in Harte/Henning, UWG, 4. Aufl., Anhang zu § 3 Nr. 29 Rn. 6; Mankowski in Fezer/Büscher/Obergfell Anhang UWG Nr. 29 Rn. 4c; GroßKomm.UWG/Pahlow, 2. Aufl., § 3 (E) Anhang Nr. 29 Rn. 12; Scherer, WRP 2012, 139, 140
9)
vgl. Sosnitza in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl., Anhang zu § 3 Abs. 3 Rn. 77; OLG Stuttgart, Urteil vom 1. Juli 2010 - 2 U 96/09, juris Rn. 32
11)
Sosnitza in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl.,Anhang zu § 3 Abs. 3 Rn. 77; OLG Stuttgart, Urteil vom 1. Juli 2010 - 2 U 96/09, juris Rn. 32
13)
BGH, Urteil vom 6. Juni 2019 - I ZR 216/17 - Identitätsdiebstahl; m.V.a. OLG Stuttgart, Urteil vom 1. Juli 2010 - 2 U 96/09, juris Rn. 32
14)
BGH, Urteil vom 6. Juni 2019 - I ZR 216/17 - Identitätsdiebstahl; m.V.a. EuGH, Urteil vom 13. September 2018 - C-54/17, C-55/17, GRUR 2018, 1156 Rn. 40 = WRP 2018, 1304 - AGCM
16)
EuGH, GRUR 2015, 600 Rn. 52 - Ungarische Verbraucherschutzbehörde
18)
BGH, Urteil vom 6. Juni 2019 - I ZR 216/17 - Identitätsdiebstahl; m.V.a. Sosnitza in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl., Anhang zu § 3 Abs. 3 Rn. 77; aA Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Anhang zu § 3 Abs. 3 Rn. 29.8; ders. in GRUR 2012, 217, 223; vgl. auch Mankowski in Fezer/Büscher/Obergfell, Anhang UWG Nr. 29 Rn. 4c
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