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markenrecht:verkehrsauffassung

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Verkehrsauffassung

Verkehrskreise
Gespaltene Verkehrsauffassung

Die Beurteilung, ob die Feststellung der Verkehrsauffassung kraft eigener richterlicher Sachkunde möglich ist oder eine Beweisaufnahme erfordert, ist vorrangig tatrichterlicher Natur. Sie ist daher in der Revisionsinstanz nur daraufhin zu überprüfen, ob der Tatrichter den Prozessstoff verfahrensfehlerfrei ausgeschöpft und seine Beurteilung der Verkehrsauffassung frei von Widersprüchen mit Denkgesetzen und Erfahrungssätzen vorgenommen hat.1)

Für die im Eintragungsverfahren (§ 37 Abs. 1, § 41 Satz 1 MarkenG) und im Nichtigkeitsverfahren (§ 50 Abs. 1 MarkenG) vorzunehmende Prüfung, ob einem Zeichen für die angemeldeten Waren oder Dienstleistungen jegliche Unterscheidungskraft fehlt oder gefehlt hat und es daher von der Eintragung nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ausgeschlossen oder entgegen § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG eingetragen worden ist, ist auf das Verkehrsverständnis im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens abzustellen.2)

Die Annahme einer gespaltenen Verkehrsauffassung ist mit der Sichtweise eines Durchschnittsverbrauchers im Grundsatz nicht zu vereinbaren.3) Eine andere Beurteilung ist ausnahmsweise gerechtfertigt, wenn die Sicht verschiedener Verkehrskreise zu ermitteln ist, die sich wie etwa der allgemeine Verkehr und Fachkreise oder unterschiedliche Sprachkreise objektiv voneinander abgrenzen lassen.4).

Das Berufungsgericht kann die Feststellungen zum Verkehrsverständnis selbst treffen, wenn die Richter zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören.5)

Gehören die Mitglieder des Tatgerichts selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen, bedarf es im Allgemeinen keines durch eine Meinungsumfrage untermauerten Sachverständigengutachtens, um das Verständnis des Verkehrs zu ermitteln.6)

Auch wenn die Mitglieder des Tatgerichts nicht zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören, können sie die Sichtweise der angesprochenen Fachkreise aufgrund eigenen Erfahrungswissens beurteilen, wenn dafür keine besonderen Kenntnisse oder Erfahrungen erforderlich sind. Gerichte, die ständig mit Wettbewerbs- und Markensachen befasst sind, können zudem aufgrund ihrer besonderen Erfahrung die erforderliche Sachkunde erworben haben, um eigenständig beurteilen zu können, wie Fachkreise oder Verkehrskreise, denen sie nicht angehören, eine bestimmte Aussage verstehen.7)

Eine Beweisaufnahme ist aber erforderlich, wenn dem Tatgericht die erforderliche Sachkunde fehlt oder sich ihm trotz eigener Sachkunde Zweifel am Ergebnis aufdrängen müssen.8)

Ein Berufungsgericht ist nicht gehindert, zur Verkehrsauffassung von der ersten Instanz abweichende Feststellungen zu treffen. Dies gilt auch, soweit es sich nicht um das im Berufungsverfahren zur Überprüfung stehende erstinstanzliche Urteil, sondern ein Urteil eines anderen erstinstanzlichen Gerichts handelt. Sollte in beiden Verfahren dieselbe Markenverletzung in Rede stehen und zudem der Prozessstoff identisch sein, obliegt es dem Berufungsgericht jedoch, in seiner Entscheidung darzulegen, aus welchen Gründen es die abweichende Beurteilung für unzutreffend erachtet.9)

Die Beurteilung, ob die Feststellung der Verkehrsauffassung kraft eigener richterlicher Sachkunde möglich ist oder eine Beweisaufnahme erfordert, ist in der Revisionsinstanz nur daraufhin zu überprüfen, ob das Tatgericht den Prozessstoff verfahrensfehlerfrei ausgeschöpft und seine Beurteilung zur Verkehrsauffassung frei von Widersprüchen zu den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen vorgenommen hat. In diesem Zusammenhang ist es grundsätzlich erforderlich, dass das Tatgericht die Feststellungen zur Verkehrsauffassung in einer Weise darlegt, die dem Revisionsgericht eine Überprüfung ermöglicht.10)

siehe auch

1)
BGH, Urt. v. 29. Juni 2006 - I ZR 110/03 - Ichthyol II; vgl. BGH, Urt. v. 5.7.1990 - I ZR 164/88, GRUR 1990, 1053, 1054 = WRP 1991, 100 - Versäum-te Meinungsumfrage; Urt. v. 18.10.2001 - I ZR 193/99, GRUR 2002, 550, 552 = WRP 2002, 527 - Elternbriefe; Lange aaO Rdn. 237
2)
BGH, Beschluss vom 18. April 2013 - I ZB 71/12 - Aus Akten werden Fakten; Aufgabe von BGH, Beschluss vom 15. Januar 2009 - I ZB 30/06, GRUR 2009, 411 = WRP 2009, 439 - STREETBALL; Beschluss vom 9. Juli 2009 - I ZB 88/07, GRUR 2010, 138 = WRP 2010, 260 Rocher- Kugel; Anschluss an EuGH, Beschluss vom 23. April 2010 C332/09, MarkenR 2010, 439 HABM/ Frosch Touristik [FLUGBÖRSE]
3)
BGH, Urteil vom 17. November 2014 - I ZR 114/13 - PINAR; m.V.a. BGH, GRUR 2013, 631 Rn. 64 AMARULA/Marulablu; BGH, Urteil vom 24. Juli 2014 I ZR 221/12, GRUR 2014, 1013 Rn. 33 = WRP 2014, 1184 Original Bach-Blüten
4)
BGH, Urteil vom 17. November 2014 - I ZR 114/13 - PINAR; m.V.a. BGH, Beschluss vom 1. Juni 2011 I ZB 52/09, GRUR 2012, 54 Rn. 9 = WRP 2012, 83 Maalox/Melox-GRY; BGH, GRUR 2014, 1013 Rn. 33 Original Bach-Blüten
5)
BGH, Urteil vom 7. März 2019 - I ZR 195/17 - SAM; m.V.a. BGH, Urteil vom 29. Juni 2006 - I ZR 110/03, GRUR 2006, 937 Rn. 27 = WRP 2006, 1133 - Ichthyol II; Urteil vom 14. Januar 2010 - I ZR 82/08, juris Rn. 23 - CCCP
6)
BGH, Beschl. v. 28. Mai 2020 - I ZR 190/19 ; m.V.a. BGH, Urteil vom 13. September 2012 - I ZR 230/11, BGHZ 194, 314 Rn. 32 - Biomineralwasser, mwN; Urteil vom 16. April 2015 - I ZR 225/12, GRUR 2015, 1189 Rn. 63 = WRP 2015, 1507 - Goldrapper
7)
BGH, Beschl. v. 28. Mai 2020 - I ZR 190/19 ; m.V.a. BGH, Urteil vom 2. Oktober 2003 - I ZR 150/01, BGHZ 156, 250 [juris Rn. 20] - Marktführerschaft; Urteil vom 17. Juli 2013 - I ZR 21/12, GRUR 2013, 1052 Rn. 29 = WRP 2013, 1339 - Einkaufswagen III; Urteil vom 20. September 2018 - I ZR 71/17, GRUR 2019, 196 Rn. 19 = WRP 2019, 184 - Industrienähmaschinen, mwN
8)
BGH, Beschl. v. 28. Mai 2020 - I ZR 190/19 ; m.V.a. BGHZ 194, 314 Rn. 43 - Biomineralwasser; BGH, Urteil vom 27. März 2013 - I ZR 100/11, GRUR 2013, 631 Rn. 47 f. = WRP 2013, 778 - AMARULA/Marulablu
9)
BGH, Urteil vom 7. März 2019 - I ZR 195/17 - SAM
10)
BGH, Beschl. v. 28. Mai 2020 - I ZR 190/19 ; m.V.a. BGH, Urteil vom 15. April 2010 - I ZR 145/08, GRUR 2010, 1125 Rn. 50 = WRP 2010, 1465 - Femur-Teil; Urteil vom 6. Februar 2013 - I ZR 62/11, GRUR 2013, 649 Rn. 50 = WRP 2013, 772 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; BGH, GRUR 2013, 1052 Rn. 29 - Einkaufswagen III; BGH, Urteil vom 14. September 2017 - I ZR 2/16, GRUR 2017, 1135 Rn. 30 = WRP 2017, 1332 - Leuchtballon; Bornkamm, WRP 2000, 830, 833
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